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Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition)
Autoren: Sandra Brown
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einem dieser Exzesse hatte Myron einen Hirnschaden davongetragen. Sein liebender Vater hatte den Kopf seines zweijährigen
Sohnes wiederholt gegen den Heizkörper gedonnert. Es war Sommer gewesen und der Heizkörper kalt, aber das hatte den Schaden nicht gemindert.
    Mit diesem Tag war Myron zum billigen Ziel verbaler und körperlicher Gewalt geworden. In der Schule wurde er gehänselt, von den Klassenrowdys regelmäßig mißhandelt. Aber viel schlimmer war, daß seine eigene Familie – Dad, Mam, Schwester und Oma – den Jungen zu ihrem Amüsement quälte und demütigte.
    An dem Abend, an dem Myron mit einer Axt und einer Flinte zum Essen kam, verging ihnen das Lachen.
    Er schlachtete seine ganze Familie ab. Es war ein Wunder, daß er angesichts dieses Gemetzels nicht wegen Geisteskrankheit für unzurechnungsfähig erklärt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden war. Höchstwahrscheinlich hatte irgendein scharfer Staatsanwalt argumentiert, Myron wäre helle genug für den Knast; wenn man ihn in eine Anstalt einwiese, anstatt ihn auf Lebenszeit in einem Hochsicherheitsgefängnis in Verwahrung zu nehmen, bestünde die Gefahr, daß irgendein Schlaffi von einem Psychiater ihn für ›geheilt› erklären und wieder auf die ahnungslose Menschheit loslassen würde. Und tatsächlich zeigte Myron nicht die geringsten Skrupel, zu töten. Ob es Tiere oder Menschen waren, ganz gleich, Carl hatte oft genug zugesehen, wie Myron kleine Tiere stundenlang quälte, ehe er sie tötete.
    O ja, Carl brauchte einen Myron. Man konnte natürlich auch argumentieren, daß er Myron genauso gnadenlos mißbrauchte, wie es früher die Rowdys in der Schule getan hatten. Aber auf dem Ohr war Carl taub.
    In einem plötzlichen Anfall von Zuneigung für den Mann, der ihn offensichtlich vergötterte, beugte sich Carl über den Tisch und lächelte seinem Verbündeten zu. »Hab ich dir schon mal gesagt, was ich tu, wenn ich hier raus bin, Myron?«
    »Du suchst dir ’ne scharfe mexikanische Tussi.«
    Carl lachte. »Das hast du nicht vergessen, was, Myron?«
    »Ne, hab ich nicht vergessen.« Myron grinste, den Mund voll halbgekauter Wurst.
    »Und was noch?« fragte Carl. »Was tu ich noch?«
    Myron schluckte geräuschvoll sein Essen hinunter. »Du legst die Arschlöcher um, die dich in den Knast gebracht haben.«

4
    J ack Sawyer stieg aus dem Fahrerhäuschen seines Pick-up. »Braucht ihr Hilfe?«
    Der lose Kies der Einfahrt knirschte unter seinen Füßen. Die aufsteigenden Staubwölkchen setzten sich auf seine abgestoßenen Schlangenlederstiefel – Stiefel, die vor mehr als zehn Jahren von einem mexikanischen Sattelmacher gearbeitet worden waren. Der Alte hatte bei der Arbeit gern ein paar Tequilas gekippt, darum war Jacks linker Stiefel etwas größer als der rechte. Er hatte den Schuhmacher nie um eine Korrektur gebeten. Sein Fuß hatte sich ganz einfach dem kleinen Fehler angepaßt.
    Der Junge, an den seine Frage gerichtet war und der ihn mit unverhohlener Neugier betrachtete, als er näher kam, schien fasziniert von den Stiefeln. Jack hatte wenig Erfahrung mit Kindern, aber er schätzte den Jungen auf etwa fünf Jahre. Der Kleine puffte seine Mutter in den Oberschenkel, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen; doch sie schob nur seine Hand weg. Kopf und Schultern blieben unter der Motorhaube des Wagens.
    Der Junge ging ihm entgegen. Sie trafen sich etwa auf halbem Weg zwischen dem stehengebliebenen Auto und Jacks Pick-up. Der Kleine legte den Kopf in den Nacken, um zu Jack aufsehen zu können, und blinzelte gegen die grelle Mittagssonne.
    »Hallo«, sagte Jack.
    »Weißt du, daß ich ein Buch über Dinosaurier habe?«
    »Ehrlich?«
    »Und ein Video auch.«
    »Hm.«
    »Am liebsten mag ich den Velociraptor.«
    »Na, so was! Ich auch«, sagte Jack.
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Cool. Magst du auch den Pterodactylus?«
    »Der kann einem ganz schön Angst einjagen.«
    Der Junge lachte beifällig und zeigte dabei vorne eine Zahnlücke. Der neue Zahn, der bereits ein Stück durchgestoßen war, bildete einen zackigen kleinen Gebirgskamm in der Lücke.
    Er war ein niedliches Kind, in Shorts, Turnschuhen und einem T-Shirt mit dem Konterfei einer Zeichentrickfigur aus dem Fernsehen – die Jack zwar kannte, ohne sich jedoch ihres Namens zu entsinnen. Der Junge hatte ein frisches Gesicht mit ein paar Sommersprossen auf der Nase. Einige Strähnen dunklen Haares klebten ihm schweißfeucht in der Stirn.
    »Wie heißt du?«
    »Jack. Und
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