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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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es ihm vergönnt sein würde, diese Stadt in ihrem Lichterglanz wieder um sich zu sehen, zu seinem eigenen Alltagswesen mit all seinen kleinen Schwächen, lästigen, aber lieben Vertrauten von Kindheit an, wieder zurückzukehren.
    Was geht‹, dachte Riviere, ›so alles in der Menge an einem vorbei. So mancher vielleicht, der einem gar nicht auffällt und der dennoch Kunde tragt vom Ungewöhnlichen. Und ohne es selbst zu wissen. Vorausgesetzt, daß …‹ Riviere fürchtete eine gewisse Sorte von Bewunderern. Sie begriffen nichts von der hohen Natur des Abenteuers, und ihre Lobsprüche verfälschten seinen wahren Sinn, setzten den Menschen herab. Aber dieser Pellerin wußte seine Würde zu wahren, die schlichte Würde seines Wissens darum, was die Welt, in einem gewissen Lichte besehen, wert ist, und wußte alle wohlfeile Bewunderung mit der ganzen Geringschätzigkeit seiner schweren Natur abzuweisen.
    Deshalb beglückwünschte ihn Riviere jetzt: »Wie haben Sie’s geschaffi?« und empfand es wohltuend, daß der andere nur einfach wie von Fachmann zu Fachmann sprach und von seinem Flug redete wie ein Schmied von seinem Amboß.
    Pellerin berichtete zuerst, wie ihm der Rückzug abgeschnitten worden war. Er entschuldigte sich fast: »Ich hab’ keine andere Wahl gehabt.« Dann hatte er nichts mehr sehen können: der Schnee hatte ihn geblendet. Aber eine heftige Strömung hatte ihn gerettet, indem sie ihn in siebentausend Meter Höhe hob. »Ich muß die ganze Zeit über fast in Gipfelhöhe geflogen sein.« Er sprach auch vom Gyroskop, dessen Luftzufuhr man verlegen müsse, der Schnee verstopfe sie: »Da bildet sich Eis, wissen Sie.« Später hatten ihn andere Strömungen wieder abwärts gerissen, und bei dreitausend Meter hatte er sich schließlich mächtig verwundert, daß er nicht längst schon gegen was angerannt sei. Der Grund war der, daß er bereits über der Ebene flog. »Ganz plötzlich hab’ ich’s gemerkt, wie ich auf einmal in klaren Himmel ‘rauskam.« Wozu er dann noch die Bemerkung fügte, es sei ihm in dem Augenblick gewesen, als käme er aus einer Höhle hervor.
    »Sturm auch in Mendoza?« 
    »Nein. Ich bin bei klarem Himmel gelandet, ohne Wind. Aber der Sturm war dicht hinter mir her.«
    Er beschrieb, wie sich das angeschaut hatte; »denn«, sagte er, »es war immerhin merkwürdig.« Der oberste Teil verlor sich ganz hoch in der Schneewolke, aber der unterste Teil quoll über die Ebene hin wie eine schwarze Lava. Eine nach der andern wurden die Städte davon verschluckt. »Ich hab’ nie so was gesehen …« Dann schwieg er, von irgendeiner Erinnerung gepackt. Riviere wandte sich zu dem Inspektor.
    »Das ist ein Zyklon vom Stillen Ozean, man hat uns zu spät Meldung gemacht. Diese Zyklone überschreiten übrigens sonst nie die Anden. Es war nicht vorauszusehen, daß gerade der nach Osten weiterziehen würde.« Der Inspektor, der nichts davon verstand, nickte beistimmend.
    Der Inspektor schien zu zögern, wandte sich zu Pellerin um, und sein Adamsapfel bewegte sich. Aber er schwieg und nahm nach einiger Überlegung, gerade vor sich hinschauend, seine grämliche Würde wieder an. 
    Er führte sie mit sich herum wie ein Gepäckstück, diese Grämlichkeit. Gestern abend zu Schiff in Argentinien angekommen, von Riviere herbeigerufen in irgendwelchen unbestimmten Angelegenheiten, bewegte er sich nun hier umher mit seinen großen Händen und seiner inspektörlichen Würde, ein Bild der Beklommenheit. Es war ihm von Amts wegen verwehrt, irgendwie Bewunderung zu äußern; er hätte auch nicht die Phantasie und den Schwung dazu gehabt; er belobigte nur die Pünktlichkeit von Amts wegen. Es war ihm verwehrt, etwa ein Glas in Gesellschaft zu trinken, einen Kameraden zu duzen oder einen faulen Witz zu riskieren, außer wenn ein unwahrscheinlicher Zufall es fügte, daß er auf derselben Station einem anderen Inspektor begegnete.
    ›Ein hartes Los‹, dachte er, ›Richter zu sein.‹ Um die Wahrheit zu sagen, so richtete er keineswegs, sondern schüttelte immer nur den Kopf. Schüttelte immer nur langsam den Kopf vor allem, was ihm unter die Augen kam, da er von nichts etwas verstand. Das beunruhigte die schlechten Gewissen und trug zur guten Erhaltung des Materials bei. Er war nicht eben beliebt, denn ein Inspektor ist nicht dazu da, geliebt zu werden, sondern Berichte zu verfassen. Er hatte darauf verzichtet, neue Arbeitsmethoden und technische Lösungen vorzuschlagen, seit Riviere einmal geschrieben hatte:
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