Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
Vom Netzwerk:
Flüchen den Fuß wieder auf die Erde zu setzen. Mächtig feines Gefühl! Aber nachher, wenn man wieder an alles zurückdenkt, wird einem irgendwas fraglich daran, aber man weiß nicht was.
    Der Kampf im Zyklon, das ist wenigstens was Wirkliches, Handfestes. Aber etwas anderes ist es um das Gesicht der Dinge, dieses Gesicht, das sie annehmen, wenn sie sich allein glauben. Er dachte:
    ›Genau wie bei einem Aufruhr: Gesichter, kaum ein bißchen bleicher als sonst, und doch dermaßen veränderte Er strengte sich innerlich an, um sich zu erinnern.
    Er flog friedlich über die Kette der Anden dahin. Die Schneelasten des Winters ruhten auf ihnen mit der ganzen Wucht ihrer Stille. Die Schneelasten des Winters hatten Frieden gebreitet über diese Steinmassen, gleichwie die Jahrhunderte über tote Burgen. Auf zweihundert Kilometer hin kein Mensch, kein Lebenshauch, keine Regung. Nur senkrechte Schroffen, an denen man, in sechstausend Meter Höhe, vorbeistreicht; nur Felsmäntel, in steilen Falten hinab, nur furchtbare Stille. 
    Im Gebiet des Pik Tupungato war es geschehen … Er dachte nach. Jawohl, dort war es geschehen, das Mirakel, das er plötzlich mit eigenen Augen geschaut. 
    Denn zuerst hatte er gar nichts gesehen, sondern sich einfach nur geniert gefühlt, ähnlich wie einer, der sich allein glaubte, der nun nicht mehr allein ist, den man anblickt. Er hatte sich, zu spät und ohne recht zu begreifen wie, von etwas Zornigem umgeben gefühlt. Jawohl. Von wo kam dieser Zorn? 
    Woran glaubte er zu spüren, daß er von dem Gestein ausschwitzte, daß er von dem Schnee ausstrahlte? Nichts schien auf ihn zuzukommen, kein Wetterdunkel war im Anzug. Und dennoch: eine zweite Welt, kaum merklich verändert, geisterte hier aus der wirklichen Welt hervor. Pellerin betrachtete, indem das Herz sich ihm unerklärlich zusammenpreßte, diese harmlosen Spitzen, diese Schroffen, diese Schneekämme, die kaum ein bißchen fahler ausschauten, aber dennoch zu leben anfingen -wie eine Volksmenge.
    Obwohl er ganz ruhig flog, krampfte er die Hände um das Steuer. Irgend etwas bereitete sich vor, das er nicht begriff. Er straffie seine Muskeln wie ein Tier, das zum Sprung ansetzt, aber wohin er auch schaute, alles war ruhig. Ja, ruhig, aber mit einer rätselhaften Gewalt geladen.
    Dann hatte sich alles geschärft, gespitzt. Die Schroffen, die Piks, alles wurde scharf und spitz: man fühlte sie wie Schiffsschnäbel durch den harten Wind stoßen. Und dann schien es ihm, als ob sie rings um ihn her sich in Bewegung setzten und wendeten und manövrierten, gleich Riesenschiffen, die sich zum Kampf ordnen. Und dann war plötzlich in der Luft ein Staub da, der glitt den Schneeflächen entlang und wehte sacht wie Schleier empor. Er wandte den Kopf nach rückwärts, um einen Ausweg zu suchen für den Fall, daß er zum Rückzug genötigt sein würde, und das Herz zitterte ihm: die ganzen Kordilleren hinter ihm schienen in Gärung. 
    ›Ich bin verloren.‹ 
    Von einem Pik geradeaus vor ihm schoß der Schnee auf: ein Vulkan von Schnee. Dann von einem zweiten etwas rechts. Und so entflammten sich alle die Gipfel einer nach dem andern, wie von einem unsichtbaren Läufer der Reihe nach in Brand gesetzt. Nun stießen die ersten Böen auf, und die Gebirge um den Piloten begannen zu schwanken. 
    Heftiges Geschehen und angespanntes Handeln hinterlassen wenig Spuren: er fand keine Erinnerung mehr in sich an die gewaltigen Stoße, die ihn hin und her geschleudert hatten. Er wußte nur noch, daß er sich wütend herumgeschlagen hatte in diesen weißgrauen Flammen. 
    Er dachte nach.
    ›Der Zyklon, das ist gar nichts. Man schaut, daß man mit heiler Haut davonkommt. Aber vorher! Was einem da vor die Augen kommt!‹ Eine Sekunde war es ihm, als ob er ein bestimmtes Gesicht unter Tausenden wiedererkannte, aber schon hatte er es wieder vergessen.
IV
    Riviere betrachtete Pellerin von der Seite. In einer Viertelstunde, dachte er, wenn dieser Mann aussteigen wird, wird er mit einem Gefühl von Ermattung und Schwere in der Menge untertauchen. Er wird vielleicht denken: ›Ich bin sehr müde … ein Sauberuf!‹ Und zu seiner Frau wird er vielleicht irgend etwas sagen wie »hier ist’s besser als über den Anden«. 
    Und dennoch war dieser Mann schon zu einem Teil losgelöst von alledem, worauf die Menschen so viel Wert legen, hatte das Fragwürdige daran erkennen gelernt. Eben wieder hatte er ein paar Stunden jenseits aller Behaglichkeit gelebt, ohne zu wissen, ob
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher