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Nachtflug Zur Hölle

Nachtflug Zur Hölle

Titel: Nachtflug Zur Hölle
Autoren: Dale Brown
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verschwommen, konnte aber keine seiner Hände bewegen, um sich die Augen zu reiben. Nach einem auf russisch erteilten Befehl fuhr ihm jemand mit einem kalten Waschlappen über die Augen, so daß Luger wieder klar sehen konnte.
    Er erkannte zwei Ärzte, zwei Krankenschwestern und einen Mann in Zivil – keine Uniformen an seinem Bett. Eine Schwester zählte seinen Puls und maß seinen Blutdruck, während ihre Kollegin die Werte in ein Krankenblatt eintrug. Sobald sie damit fertig waren, verließen sie mit den Ärzten den Raum und schlossen die Tür hinter sich.
    »Hören Sie mich, Oberleutnant Luger?« fragte der Zivilist. Luger sah, daß er einen fast knöchellangen Mantel aus feinstem schwarzem Leder trug, Sein blütenweißer Hemdkragen war leicht gestärkt, und seine dezente Krawatte wurde unterhalb des Windsorknotens von einer goldenen Klammer gehalten. Dann konzentrierte sich Luger wieder auf die Augen des anderen: leuchtendblaue Augen mit Fältchen in den Augenwinkeln. Aber das Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, das Kinn energisch, der Hals sehnig – ein »Läuferhals«, wie die Vorgesetzten daheim auf dem Stützpunkt gesagt hätten. Kein Bürohengst…
    »Wie fühlen Sie sich, Oberleutnant?« Der Unbekannte sprach knapp und präzise, fast ohne Akzent. »Können Sie mich hören, Oberleutnant?«
    Luger beschloß, nicht zu antworten. Er würde nichts sagen, Punktum. Was er in der U.S. Air Force Survival School – im »Kriegsgefangenenlager« auf der Fairchild Air Force Base in Washington – über Widerstand bei Vernehmungen gelernt hatte, war zum größten Teil längst vergessen, aber eine Lektion hatte sich ihm eingeprägt: Klappe halten! Kein noch so cleverer Befrager würde ihm irgendwelche Geheimnisse entlocken.
    »Antworten Sie bitte, Oberleutnant«, forderte der Zivilist ihn auf.
    »Nach Auskunft der Arzte sind Sie so weit wiederhergestellt, daß Sie sprechen können – aber nur Sie können uns sagen, ob Ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Sind Sie gesund genug, um mit mir zu sprechen?«
    Keine Antwort.
    Der Mann wirkte besorgt, aber nicht verärgert. »Nun gut, ich merke Ihnen an, daß Sie mich verstehen, aber es vorziehen, mir nicht zu antworten. Also werde ich als einziger reden. Sie befinden sich in Sibirien an einem Ort, den ich Ihnen nicht sagen darf, in einem Lazarett. Sie sind seit vielen Monaten hier. Wir haben Sie gepflegt, wie wir einen sowjetischen Flieger gepflegt hätten – nur mit dem Unterschied, daß niemand weiß, daß Sie hier sind.
    Ich habe Ihnen auf Befehl des Stabschefs der Streitkräfte der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken mitzuteilen, daß Sie ein Gefangener des Volkes der UdSSR sind. Sie sind jedoch kein Kriegsgefangener, der sich auf die Genfer Konvention berufen kann, sondern befinden sich wegen Verbrechen gegen Volk und Staat in Haft. Ist Ihnen das klar?«
    Als Luger wieder hartnäckig schwieg, zählte der Mann die Anklagepunkte gegen ihn auf. »Im einzelnen wird Ihnen vorgeworfen: Mord in vierzehn Fällen, versuchter Mord, vorsätzliche Zerstörung von Staats- und Privateigentum, Verletzung der Souveränität der UdSSR, bewaffneter Kampf gegen das sowjetische Volk und weitere weniger schwere Straftaten. Da bei solchen Vergehen ohnehin kein öffentliches Verfahren vorgesehen ist und Sie solange schwer verletzt im Lazarett gelegen haben, hat ein Militärgerichtshof in Abwesenheit gegen Sie verhandelt und die Todesstrafe verhängt.«
    Luger hatte nur mit halbem Ohr zugehört und in eine Ecke des Raums gestarrt, um sich von dem Gesagten abzulenken, aber das Wort »Todesstrafe« bewirkte jetzt, daß er dem Mann scharf ins Gesicht sah.
    Die Todesstrafe?
    Lugers Kehle war plötzlich wie ausgedörrt, und sein Herz begann zu jagen. Er glaubte zu spüren, wie sein Blutdruck zunahm, und hatte zum ersten Mal seit seiner Rückkehr ins Bewußtsein richtiggehend Angst. Er versuchte, trotz des grellen Lichts und der ungewohnten Umgebung schnell zu denken. Und er bemühte sich, äußerlich gefaßt zu wirken. Er hatte die Explosion des Tankwagens überlebt, die seinen Kameraden hoffentlich die Chance verschafft hatte, nach Nome, Alaska, zu starten – nur um jetzt zu erfahren, daß er trotzdem würde sterben müssen.
    Nun, er war auf den Tod gefaßt gewesen, als er aus der Old Dog geklettert war… was machte es also aus, wenn er jetzt starb?
    »Da ein wegen Mordes zum Tode Verurteilter in der Sowjetunion aller Rechte verlustig geht«, fuhr der Zivilist ausdruckslos fort,
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