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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge
Autoren: Titus Müller
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Umgebung der Talsperren die tollste Sensation, die man sich nur denken kann. Allerdings sind die Folgen, die dadurch eintreten, für unsere Rüstung ziemlich verheerend. Die Totenzahlen sind Gott sei Dank nicht so hoch, wie wir anfangs befürchtet hatten. Die Engländer und Amerikaner sprechen bereits von 10 000 Toten. In Wirklichkeit hält sich die Totenzahl zwischen 1 000 und 2 000.«
    Am 20. Mai 1943 notiert Goebbels: »Die Verheerungen, die an den Talsperren angerichtet worden sind, stellen sich als nicht ganz so schlimm heraus, [wie] wir zuerst angenommen hatten. Aber immerhin genügen sie noch, um unserer Rhein- und Ruhrindustrie erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten.«

Neheim und das »Russinnenlager«
    Im Zentrum der nationalsozialistischen Moral standen das Volk und die Gemeinschaft der Rasse. Was ihnen diente, war gut, was ihnen schadete, war schlecht. Man behauptete, die »arische Menschenrasse« hätte sich höher entwickelt als die anderen, und nahm sich das Recht heraus, andere Völker wie Sklaven zu behandeln. So kamen Politik, Krieg und ein verzerr tes Verständnis von Biologie zusammen. Rudolf Heß behauptete: »Nationalsozialismus ist nichts anderes als angewandte Biologie.«
    Gerechtigkeit oder Mitleid gab es bald nur noch für Mitglieder der sogenannten Volksgemeinschaft, während Juden oder Slawen ohne schlechtes Gewissen misshandelt wurden – sie waren aus der sozialen Welt, in der noch Werte galten, ausgeschlossen. Mit einer Mischung aus Unbehagen, Schadenfreude, und oft auch mit Wohlgefallen, beobachtete man den tiefen Sturz der Juden, die aus ihren Berufen gedrängt wurden und nicht einmal mehr öffentliche Verkehrsmittel verwenden durften. Mit ihnen zu fühlen, galt als Schwäche.
    In den eroberten Gebieten fing man Menschen ein und transportierte sie als Arbeitskräfte ins Großdeutsche Reich. Ukrainer waren dabei in den Augen der Nazis etwas höher angesehen als die anderen slawischen Völker, auch wenn sie in der Praxis meist genauso schlecht behandelt wurden. Die Ukraine war 1939 eine Teilrepublik der Sowjetunion. Da aber Stalin 1932 / 33 fünf Millionen Bauern in der Ukraine verhungern ließ, indem er ihnen das Saatgetreide raubte, kämpfte eine beträchtliche Anzahl Ukrainer auf der Seite der Deutschen – unter anderem auch Kosaken –, in der Hoffnung auf eine Befreiung vom Bolschewismus. Deshalb führten die Nationalsozialisten die Ukrainer in ihren Listen als eigene Nationalität.
    Das Landesarbeitsamt Westfalen beschaffte sich seine Zwangsarbeiter hauptsächlich aus der ukrainischen Region Kriwoi-Rog. Junge Menschen wurden auf der Straße, in Schulen oder in Kinos verhaftet. Man umstellte Dörfer und zwang die Dorfältesten, eine bestimmte Anzahl an Menschen zu nennen , die sich für den Abtransport nach Deutschland zu melden hatten. Weigerten sich Einzelne, dem Aufruf des Dorfältesten zu folgen, brannte man ihr Haus nieder. Durch den langen, menschenunwürdigen Transport nach Deutschland bestätigte sich für die deutsche Bevölkerung das Vorurteil der »Untermenschen« aus dem Osten: Die Zwangsarbeiter kamen in sehr schlechter Verfassung an, verdreckt, hungrig, übermüdet.
    Liebesbeziehungen zwischen ausländischen Zwangsarbeitern und Deutschen wurden streng bestraft. Im Merkblatt »Über die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung der im Reich tätigen ausländischen Arbeitskräfte« des Reichspropagandaministeriums und Reichssicherheitshauptamts hieß es:
    Die humane, aber arbeitssteigernde Behandlung der ausländischen Arbeiter und die ihnen gewährten Erleichterungen können selbstverständlich leicht dazu führen, die klare Trennungslinie zwischen den fremdvölkischen Arbeitern und den deutschen Volksgenossen zu verwischen. Die deutschen Volksgenossen sind anzuhalten, den erforderlichen Abstand zwischen sich und den Fremdvölkern als eine nationale Pflicht zu betrachten. Bei Außerachtlassen der Grundsätze nationalsozialistischer Blutsauffassung muss der deutsche Volksgenosse sich schwerster Strafen bewusst sein.
    Für diese Strafen gibt es zahlreiche Zeugnisse. Eine junge Deutsche, die einen polnischen Zwangsarbeiter liebte und im Sommer 1942 eine gemeinsame Tochter zur Welt brachte, wurde von der Gestapo verhaftet und landete in der Steinwache in Dortmund. 1944 starb sie im Konzentrationslager Ravensbrück. Der Pole wurde öffentlich aufgehängt, seine Landsleute zwang man zuzusehen.
    Ceslaus Wysotzki, 36, wurde wegen seiner heimlichen Liebesbeziehung zu einer
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