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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag
Autoren: Val McDermid
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zuckersüßen Getränken und gesättigten Fettsäuren zu ernähren, war aber trotzdem noch genauso schlank und drahtig wie damals, in ihrer gemeinsamen Zeit als Anfänger. Sie dagegen brauchte eine normale Cola nur anzusehen, um zu spüren, wie sie ein paar Zentimeter zulegte. Es war wirklich ungerecht.
    Phil kniff seine dunklen Augen zusammen und verzog die Lippen zu einem spöttischen, aber gutmütigen Lächeln. »Wie auch immer. Der Silberstreif am Horizont ist, dass es dem Chef gelingen könnte, mehr Geld von der Regierung loszueisen, wenn er sie überzeugen kann, dass die Bedrohung sich verstärkt hat.«
    Karen schüttelte den Kopf, jetzt hatte sie festen Boden unter den Füßen. »Meinst du etwa, dass Gordons berühmter moralischer Leitstern ihm erlauben würde, auf etwas zuzusteuern, das so sehr nach Eigennutz aussieht?«
    Noch im Sprechen griff sie nach dem Telefon, das gerade zu läuten begann. Es gab in dem großen Büro des Teams für ungelöste Fälle durchaus Kollegen, die rangniedriger waren, aber Karen hielt auch nach ihrer Beförderung an ihren alten Gewohnheiten fest und ging weiterhin ran, sobald ein Telefon in ihrer Nähe klingelte. »Detective Inspector Pirie am Apparat«, meldete sie sich zerstreut, denn sie war in Gedanken noch bei dem, was Phil gesagt hatte, und fragte sich, ob er sich wohl insgeheim danach sehnte, mehr in die aufregendere praktische Polizeiarbeit eingebunden zu sein.
    »Dave Cruickshank am Empfang, Inspector. Hier ist eine Frau, die, glaub ich, mit Ihnen sprechen müsste.« Cruickshank klang unsicher, was so ungewöhnlich war, dass Karen aufmerksam wurde.
    »Worum geht es?«
    »Eine vermisste Person«, sagte er.
    »Einer von unseren Fällen?«
    »Nein, sie möchte jemanden als vermisst melden.«
    Karen unterdrückte einen gereizten Seufzer. Cruickshank sollte doch inzwischen wirklich Bescheid wissen. Er saß schon lange genug am Empfang. »Da muss sie mit der Kripo reden, Dave.«
    »Ja, schon. Normalerweise wäre das meine erste Anlaufstelle. Aber wissen Sie, die Sache ist etwas ungewöhnlich. Und deshalb dachte ich, es wäre besser, zuerst mit Ihnen darüber zu sprechen.«
    Komm zur Sache
. »Wir haben es mit ungelösten Fällen zu tun. Wir leiern keine neuen Nachforschungen an.« Karen sah mit rollenden Augen zu Phil hinüber, der über ihren offensichtlichen Ärger grinste.
    »Dies ist nicht gerade eine neue Sache, Inspector. Der Mann ist vor zweiundzwanzig Jahren verschwunden.«
    Karen richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Vor zweiundzwanzig Jahren? Und man kommt jetzt endlich dazu, es zu melden?«
    »Stimmt. Ist das nun ein alter ungelöster Fall oder was anderes?«
    Karen wusste, dass Cruickshank die Frau genau genommen an die Kripo verweisen müsste. Aber sie hatte schon immer eine Schwäche für alles gehabt, was bei anderen nur ein belustigtes, ungläubiges Kopfschütteln hervorrief. Kühne Hypothesen brachten sie erst so richtig in Schwung. Diesem Impuls folgend, war sie in drei Jahren zweimal befördert worden, war an Kollegen im gleichen Dienstalter vorbeigezogen und hatte andere nervös gemacht. »Schicken Sie sie rauf, Dave. Ich spreche mal mit ihr.«
    Sie legte auf und schob sich vom Schreibtisch zurück. »Warum man wohl mit einer Vermisstenmeldung zweiundzwanzig Jahre wartet?«, fragte sie mehr sich selbst als Phil, während sie auf ihrem Schreibtisch nach einem neuen Notizbuch und einem Stift suchte.
    Phil schob die Lippen vor wie einer jener teuren Karpfen. »Vielleicht war sie im Ausland. Vielleicht ist sie gerade zurückgekommen und hat herausgefunden, dass diese Person nicht da ist, wo sie sie erwartet hatte.«
    »Und vielleicht braucht sie uns, damit der Betroffene für tot erklärt werden kann. Geld, Phil. Darauf läuft es doch gewöhnlich hinaus.« Karen lächelte ironisch. Ihr Lächeln schien nachzuwirken, wie bei der Grinsekatze aus
Alice im Wunderland
. Geschäftig verließ sie das Büro und ging zu den Aufzügen hinüber.
    Ihr geübtes Auge studierte und stufte die Frau ein, die ohne das geringste Anzeichen von Schüchternheit aus dem Aufzug stieg. Jeans und ein Kapuzenpullover von Gap, der sportlich wirken sollte. Schnitt und Farben ihres Outfits waren hochmodern. Die Lederschuhe waren sauber, ohne Kratzer und passten im Farbton zu ihrer Handtasche, die von der Schulter auf die Hüfte herabhing. Ihr mittelbraunes Haar war gut geschnitten, der lange Bob begann nur an den Rändern ein wenig herauszuwachsen. Also wohl keine Arbeitslose. Wahrscheinlich
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