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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag
Autoren: Val McDermid
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und blinzelte verzweifelt, den Blick auf die hohen Sandsteinhäuser gerichtet.
    »Wir werden einen Spender finden. Oder sie werden eine Therapie entwickeln. Diese ganze Stammzellenforschung kommt ja wirklich schnell voran.«
    »Nicht schnell genug für Luke«, entgegnete Misha, und das vertraute Gefühl von Schwere in ihrem Magen ließ sie langsamer gehen. »John, bitte, ich muss nach Nottingham fahren. Du musst dir zwei Tage freinehmen und bei Luke für mich einspringen.«
    »Du brauchst nicht zu fahren. Du kannst mit dem Typ telefonieren.«
    »Es ist nicht das Gleiche. Das weißt du doch. Wenn du mit Kunden zu tun hast, machst du das auch nicht per Telefon. Nicht wenn es etwas Wichtiges ist. Du gehst hin und besuchst sie. Du willst ihnen in die Augen schauen. Ich bitte dich doch nur, dir zwei Tage freizunehmen und Zeit mit deinem Sohn zu verbringen.«
    Seine Augen blitzten bedrohlich, und sie wusste, dass sie zu weit gegangen war. John schüttelte störrisch den Kopf. »Ruf ihn einfach an, Misha.«
    Und das war’s. Die lange Erfahrung mit ihrem Mann hatte sie gelehrt, dass John im Recht zu sein glaubte, wenn er eine bestimmte Haltung eingenommen hatte. Wenn man weiter auf einer anderen Meinung beharrte, gab ihm das nur Gelegenheit, seine Position noch zu untermauern. Sie hatte keine neuen Argumente, die gegen seine Entscheidung ankommen konnten. Also saß sie hier auf dem Boden und formulierte Sätze in ihrem Kopf, die Logan Laidlaw dazu bringen sollten, ihr zu sagen, was mit ihrem Vater passiert war, seit er sie vor mehr als zweiundzwanzig Jahren verlassen hatte.
    Ihre Mutter hatte ihr nicht viel erzählt, worauf sie ihre Strategie aufbauen konnte. Laidlaw war ein nichtsnutziger Frauenheld, ein Mann, der sich im Alter von dreißig Jahren noch wie ein Teenager benahm. Mit fünfundzwanzig war er verheiratet und bald wieder geschieden gewesen und erwarb sich den schlechten Ruf eines Mannes, dem im Umgang mit Frauen allzu schnell die Hand ausrutschte. Das Bild, das Misha von ihrem Vater hatte, war sehr lückenhaft und einseitig, aber selbst in ihrer durch die Voreingenommenheit ihrer Mutter geprägten Sicht klang Mick Prentice nicht wie jemand, der sich viel mit Logan Laidlaw hätte abgeben wollen. Andererseits aber gesellten sich in schweren Zeiten ungleiche Gefährten zueinander.
    Endlich nahm Misha den Hörer und wählte die Nummer, die sie über Internetsuche und Telefonauskunft gefunden hatte. Er war wahrscheinlich arbeitslos, dachte sie beim vierten Klingeln. Oder er schlief.
    Beim sechsten Klingeln wurde plötzlich abgenommen. Eine tiefe Stimme brummte ein undeutliches Hallo.
    »Ist dort Logan Laidlaw?«, fragte Misha und bemühte sich, ruhig zu klingen.
    »Ich hab schon ’ne Küche, und Versicherungen brauch ich auch keine.« Der Dialekt von Fife und die vertraute Wortmelodie klangen deutlich durch.
    »Ich will Ihnen nichts verkaufen, Mr.Laidlaw. Ich möchte nur mit Ihnen reden.«
    »Aha. Und ich bin der Premierminister.«
    Sie hatte das Gefühl, er werde gleich auflegen. »Ich bin die Tochter von Mick Prentice«, platzte sie heraus und hatte damit ihre Strategie hoffnungslos vermasselt. Sogar aus der Entfernung konnte sie sein heiseres, pfeifendes Schnaufen hören. »Mick Prentice aus Newton of Wemyss«, versuchte sie es noch einmal.
    »Ich weiß, woher Mick Prentice stammt. Aber ich weiß nicht, was Mick Prentice mit mir zu schaffen hat.«
    »Hören Sie, mir ist klar, dass Sie sich dieser Tage nicht oft sehen, aber ich wäre Ihnen wirklich für alles dankbar, was Sie mir sagen könnten. Ich muss ihn unbedingt finden.« Mishas eigener Akzent passte sich jetzt seinem breiten Dialekt an.
    Pause. Dann erwiderte er ratlos: »Warum reden Sie mit mir? Ich hab Mick Prentice nicht gesehen, seit ich 1984 aus Newton of Wemyss weggegangen bin.«
    »Okay, aber selbst wenn Sie sich gleich getrennt haben, als Sie in Nottingham ankamen, müssen Sie doch eine Ahnung haben, wo er geblieben ist, wohin er gehen wollte?«
    »Hören Sie mal, Schätzchen, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Was meinen Sie damit, dass wir uns gleich getrennt haben, als wir nach Nottingham kamen?« Er klang gereizt, ihre aufgeregten Fragen hatten seine nicht gerade ausgeprägte Geduld erschöpft.
    Misha holte tief Luft und sagte dann ganz langsam: »Ich will nur wissen, was mit meinem Vater los war, nachdem Sie nach Nottingham kamen. Ich muss ihn finden.«
    »Sind Sie noch richtig im Kopf, Mädchen? Ich hab keine Ahnung, was mit Ihrem Vater
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