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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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und ich, denken. Dein Vater wird dich nicht hierbleiben lassen, egal, was wir sagen.« Die Passivität ihrer Mutter brachte Margaret nur noch mehr auf, und sie entschied sich, sofort etwas zu unternehmen. »Ich werde selbst mit ihm reden. Jetzt gleich.«
    »Bitte, laß es bleiben.« Jetzt schwang ein flehender Ton in Mutters Stimme mit. »Es ist so schon furchtbar schwer für ihn. Er liebt England, das weißt du. Unter anderen Umständen würde er das Kriegsministerium anrufen und fragen, ob sie eine Arbeit für ihn haben. Es bricht ihm das Herz.«
    »Was ist mit meinem Herzen?«
    »Für dich ist es etwas anderes. Du bist jung, dein Leben liegt noch vor dir. Für ihn aber ist es das Ende aller Hoffnung.«
    »Ich bin nicht daran schuld, daß er ein Faschist ist«, sagte Margaret barsch.
    Mutter stand auf. »Ich hatte gehofft, du hättest mehr Herz«, sagte sie leise und verließ das Zimmer.
    Jetzt quälte Margaret ein schlechtes Gewissen, aber gleichzeitig ärgerte sie sich auch. Es war so ungerecht! Seit sie denken konnte, hatte Vater ihre Meinung stets voll Verachtung abgetan, und nun, da die Ereignisse bewiesen, daß seine Ansichten falsch waren, sollte sie auch noch Mitleid mit ihm empfinden!
    Sie seufzte. Ihre Mutter war schön, exzentrisch und vollkommen gleichmütig. Sie war reich geboren und wußte, was sie wollte. Ihre Exzentrik entsprang einem starken Willen, nur fehlte ihr die nötige Klarsicht. Sie hielt an törichten Ideen fest, weil sie zwischen Sinn und Unsinn nicht zu unterscheiden vermochte. Die Unbestimmtheit war das Mittel einer starken Frau, mit der Dominanz des Mannes fertig zu werden: Sie durfte ihrem Mann nicht widersprechen, und so war die einzige Möglichkeit, sich seinem Diktat zu entziehen, vorzutäuschen, daß sie ihn nicht verstand. Margaret liebte ihre Mutter und akzeptierte ihre Eigenarten mit einer gewissen Nachsicht; aber sie war entschlossen, nicht wie sie zu werden, so sehr sie sich auch äußerlich ähnelten. Wenn die anderen ihr eine Ausbildung verweigerten, würde sie das eben selbst in die Hand nehmen. Und sie wollte lieber eine alte Jungfer werden, als irgendein Mannsbild zu heiraten, das glaubte, ein Recht zu haben, sie wie ein dummes Hausmädchen herumzukommandieren.
    Manchmal sehnte sie sich nach einem anderen Verhältnis zu ihrer Mutter. Sie wollte sich ihr anvertrauen, ihr Verständnis gewinnen, sie um Rat bitten. Sie könnten Verbündete sein, gemeinsam um ihren Platz in einer Welt kämpfen, in der Frauen nur ein schmückendes Beiwerk waren. Aber Mutter hatte diesen Kampf schon lange aufgegeben und wollte, daß Margaret das ebenfalls tat. Aber dazu war sie nicht bereit! Margaret würde sich nicht untreu werden. Ihr Entschluß stand fest. Aber wie konnte sie ihr Ziel erreichen?
    Den ganzen Montag brachte sie keinen Bissen hinunter. Sie trank eine Tasse Tee nach der anderen, während die Dienstboten das Haus zum Verschließen fertigmachten. Am Dienstag, als Mutter klarwurde, daß Margaret nicht vorhatte zu packen, wies sie Jenkins an, es für sie zu tun. Natürlich wußte das neue Hausmädchen nicht, was sie einpacken sollte, darum mußte Margaret ihr helfen. So hatte Mutter ihren Willen schließlich wieder durchgesetzt, wie meistens.
    »So ein Pech für Sie, daß wir das Haus schließen, kaum daß Sie eine Woche hier arbeiten«, meinte Margaret.
    »Ich werd‘ bestimmt schnell eine neue Stellung finden, M‘lady«, entgegnete Jenkins. »Unser Dad sagt, daß es im Krieg so was wie Arbeitslosigkeit nicht gibt.«
    »Was werden Sie tun? In einer Fabrik arbeiten?«
    »Ich werd‘ mich freiwillig melden. Im Radio hab‘ ich gehört, daß gestern siebzehntausend Frauen zum A.T.S. gegangen sind. Vor allen Rathäusern im ganzen Land stehen Schlangen an – ich hab‘ ein Bild in der Zeitung gesehen.«
    »Sie haben es gut«, stellte Margaret bedrückt fest. »Das einzige, wofür ich mich anstellen kann, ist ein Flugzeug nach Amerika.«
    »Sie müssen tun, was der gnädige Herr will«, sagte Jenkins.
    »Was sagt Ihr Dad dazu, daß Sie zum A.T.S. wollen?«
    »Ich werd‘s ihm gar nicht erzählen – ich tu‘s einfach.«
    »Aber was ist, wenn er Sie zurückholt?«
    »Das kann er nicht. Jedenfalls nicht, sobald sie mich genommen haben. Ich bin achtzehn. Und wenn man alt genug ist, können die Eltern gar nichts mehr dagegen tun.«
    Überrascht blickte Margaret sie an. »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich. Das weiß doch jeder.«
    »Ich habe es nicht gewußt«, murmelte Margaret
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