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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers
Autoren: Andreas Weinek
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wollte nicht aufgeben, sich nicht beugen vor der Inquisition. Über sechs Jahre waren nun vergangen, seit sie ihn aus den Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig hierher in die Engelsburg nach Rom gebracht hatten. Bis zur letzten Minute hätte sich ihm die Möglichkeit der Flucht geboten, doch das wäre nicht nur eine Flucht vor der Inquisition gewesen, sondern auch eine Flucht vor der Wahrheit, und um der Wahrheit willen hätte Giordano noch ganz andere Opfer auf sich genommen. Vielleicht gelang es ihm ja auch, den einen oder anderen hier in diesem stickigen Gewölbe, in dem er nun schon seit Monaten einer Gruppe von Inquisitoren zum Verhör vorgeführt wurde, mit seinen Reden zum Nachdenken zu bewegen, zu überzeugen, in sich zu gehen, umzukehren vom falschen Weg … Giordano wollte etwas sagen, doch Kardinal Bellarmin, der Vorsitzende des Heiligen Offiziums, fiel ihm scharf ins Wort.
    „Du leugnest also weiterhin die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist?“
    Giordano spürte, dass er den hohen Geistlichen zum Äußersten trieb. Es war ihm egal. Was bedeutete das schon? Ein mittelmäßiger Diskurs brachte sie nicht voran. Wenn es irgendeinen Funken Hoffnung gab, Bellarmin von seinen Ansichten zu überzeugen, dann mussten beide ihre Grenzen überschreiten. Giordano hielt Bellarmins festem Blick stand. Versuchte zu ergründen, was der Kardinal in dieser Sekunde dachte. Das Schweigen im Saal wurde immer unerträglicher. Nur das Schnaufen einiger Inquisitoren, hervorgerufen durch die rauchgeschwängerte, stickige Luft, durchbrach die Stille.
     
    ***
     
    Dieser verbohrte Narr, wenn er doch nur widerrufen würde. Bellarmin war außer sich. Dieser Mann würde lieber sterben, als seiner Überzeugung abzuschwören. Je länger der Prozess dauerte, desto klarer wurde dies dem Offizium. Die Gesichtszüge des Kardinals hatten sich verdunkelt. Die graublauen Augen, die außerhalb der Kerkermauern meist milde dreinblickten, waren nun eng zusammengekniffen. Ein Beben ging durch die ebenmäßige Nase, wie bei einem Hengst, der kurz davor war loszulaufen.
    „Du weigerst dich, die Jungfrau Maria als Mutter Gottes anzuerkennen?“ Es klang mehr wie eine Feststellung denn wie eine Frage. Die Männer sahen einander reihum an, als der Angeklagte darauf nichts erwiderte. Der Rauch der Kerzen verdünnte den Sauerstoff. Giordano fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Er war zu schwach, um zu antworten. Warum wollten sie nicht begreifen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums war, ja, nicht sein konnte. Kopernikus hatte es doch bewiesen. Landauf, landab war er auf seinen Reisen auf verständige Personen getroffen. Hatte auf Fürstenhöfen mit Gelehrten diskutiert, und man war sich einig, dass Ptolemäus, an dessen Theorien die Kirche immer noch festhielt, mit seinen Ansichten irrte. Giordano drohte in Ohnmacht zu fallen. Zwei Wachen eilten herbei und stützten ihn. Seine ohnedies hagere Gestalt war von der nun ohne Unterbrechung fast acht Jahre andauernden Kerkerhaft ausgezehrt.
    „Ich glaube an ein unendliches Universum.“ Schwach kamen die Worte über Giordanos Lippen. „Ich halte es der göttlichen Güte und Macht für unwürdig, wenn sie unzählige Welten erschaffen kann, aber nur eine endlich begrenzte Welt erschafft.“
    Bellarmin hob erstaunt und interessiert zugleich die buschigen Augenbrauen.
    „Daher habe ich stets behauptet, es existierten unzählige Welten ähnlich dieser Erde, welch Letztere ich mit Pythagoras nur für einen Stern halte, wie die zahllosen Planeten und Gestirne.“ Er hielt erschöpft kurz inne und holte tief Luft. „Alle diese unzähligen Welten machen eine unendliche Gesamtheit aus im unendlichen Raum, und dieser heißt das unendliche All, so dass doppelte Unendlichkeit anzunehmen ist, nach Größe des Universums und nach Zahl der Weltkörper.“ Seine Stimme wurde mit jedem Satz fester. „In diesem unendlichen All sehe ich eine universelle Vorsehung, kraft derer jegliches Ding lebt und sich bewegt und in seiner Vollkommenheit existiert.“ Gebetsmühlenartig hatte er diese Sätze wiederholt. Schon damals in Venedig und erst recht hier in Rom. Während er die ob seiner Dreistigkeit zum Teil ungläubig glotzenden Mitglieder des Offiziums der Reihe nach ansah, machten sich seine Gedanken auf in die Unendlichkeit. Unendlichkeit, das war für ihn zum einen der Sternenhimmel. Unendlichkeit bedeutete aber auch, auf das ruhig daliegende, tiefblaue Meer hinauszublicken und am Horizont
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