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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul
Autoren: Annegret Heinold
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Papiere auf dem Schreibtisch und fange aus pädagogischen Gründen mit der Scheidung an. Um mir noch mal so richtig klarzumachen, was passiert, wenn so eine Beziehung schief geht.
     
    *
     
    Clara ist klasse. Clara ist in meinem Alter, wohnt in Viseu, schreibt Heftchenromane für einen deutschen Heftchenverlag und kann ganz gut davon leben, dass sie die Herzen von hübschen Frauen in den Armen von starken Männern schmelzen lässt. Clara kleidet sich wie eine späte Pippi Langstrumpf. Mir macht das nichts aus, ich zeige mich gerne mit Clara in der Öffentlichkeit, auch wenn sie eine Pünktchenhose und einen roten Hut trägt, so wie heute. Aber ich bezweifel, dass die Männer, die sich im Datingcafé als junggeblieben beschreiben und daher eine jüngere Partnerin suchen, was mit Claras Stil anfangen könnten. Bin gespannt, was passieren würde, wenn man bei so einem Date, wo der Mann ja extra gesagt hat: Jung ist wichtig, seine Buntstifte auspackt und anfängt die Papiertischdecke zu bemalen. Ich glaube, diese Männer meinen eher das Baywatch-jung und nicht Buntstifte und Pünktchenhosen. Ich glaube, das mit den Buntstiften werde ich mal ausprobieren, da hätte ich richtig Lust drauf. Sollte ich je auf ein Date gehen.
    Und plötzlich wird mir klar: Ich war noch nie in meinem Leben auf einem Date. Wie haben wir das früher gemacht? Da war das irgendwie anders. Und dann war ich ja jahrelang gut untergebracht in meiner Ehe. Und nun ist da eine völlig neue Welt entstanden in der Zwischenzeit, mit Speed Dating und Datingcafé, mit chatten und skypen und Dates. Und nun weiß ich überhaupt nicht mehr, wie das geht. Ich packe es auf meine mentale Liste, die Liste der Dinge, die ich noch erleben möchte, ehe ich auch sterbe. Ich möchte ein Date. Das mit den Buntstiften, da bin ich mir noch nicht so sicher, ob das dann eine gute Idee ist, wenn ich denn dann mal überhaupt ein Date haben sollte. Das lasse ich dann vielleicht doch lieber sein.
    Ich liebe auch Claras Wohnung. Sie ist im vierten Stock und man hat einen tollen Blick auf Viseu. Die Wohnung ist nicht groß, aber sehr gemütlich eingerichtet. Clara hat Mobiles in allen Zimmern und Windspiele auf dem Balkon. An normalen Tagen hört man die Melodie der Windspiele, aber an Tagen mit starkem Wind muss Clara sie zusammenbinden, sonst beschweren sich die Nachbarn und Clara liegt an guter Nachbarschaft. Clara wohnt mitten in der Stadt, direkt am Eispalast. Der Eispalast ist nicht die Wohnung der Schneekönigin, wie man vielleicht denken könnte, sondern ein Einkaufszentrum mit einer Schlittschuhbahn, wo man das ganze Jahr lang Schlittschuhlaufen kann. Drinnen und überdacht und im Warmen. Der Eispalast ist mein Lieblings-Einkaufszentrum, und da meine alternative Phase vorbei ist, kann ich das auch zugeben.
    Clara geht es genauso. Manchmal denken wir gemeinsam an die Zeiten zurück, als wir in selbst eingefärbten lila Latzhosen Büchertische für die Frauenwoche organisiert haben. Wir haben uns nicht gekannt, wir haben sogar in verschiedenen Städten gewohnt, Clara in Bremen und ich in Hamburg, und wir haben doch das Gleiche gemacht. Jetzt sind die anspruchsvollen Zeiten vorbei und wir können durch den Eispalast bummeln, ohne gleich Kapitalismus-Kritik zu üben. Das ist das Schöne am Älterwerden. Man wird gelassener, so wie es in dem Zen-Beispiel beschrieben wird. In dem Beispiel mit den Flusskieseln. Am Anfang des Flusses sind die Kiesel spitz und kantig, wenig abgeschliffen. Und am Ende des Flusses sind die Kiesel rund und glatt, abgeschliffen vom ewigen Wasser, das über sie fließt. Das sind Clara und ich. Zwei Flusskiesel, abgeschliffen vom Leben.
    Wir sitzen im Eispalast und trinken Kaffee. Und weil es in letzter Zeit so viel geregnet hat und nachts so kalt war, liegt auf den Gipfeln der Serra de Estrela Schnee, das ist ein klasse Panoramablick, da macht der Eispalast seinem Namen alle Ehre.
    Wir haben beide einen schönen dunklen Galão vor uns stehen und eins von diesen Puddingtörtchen, die es hier in Portugal schon immer gibt und in Deutschland jetzt auch. Pastel de nata . Außen Blätterteig, innen Pudding. Wunderbar cremig und süß und kalorienmäßig nicht gerade ein Diät-Tipp.
    „Nun erzähl schon“, sagt Clara. „Wie war´s denn so da drüben?“
    Ich erzähle Clara also von Vancouver. Von meinem Besuch im anthropologischen Museum und von Bill Reids Skulptur von der Entstehung der Welt. Bill Reid ist halb Indianer, halb Weißer. Er ist ein
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