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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul
Autoren: Annegret Heinold
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geguckt. Nicki ist schon seit sieben Jahren hier. Sie unterrichtet Deutsch an einer Sprachenschule und sie will für immer hier bleiben. Ich kenne Nicki noch aus Hamburg, jetzt wohnt sie in Vancouver, Kanada, und ich wohne in Monsanto, Portugal, und wer hätte gedacht, dass wir uns je wiedertreffen. Ist schon wirklich reichlich lange her, dass wir auf der Alster Kanu gefahren sind. Nicki ist auch zehn Jahre jünger als ich, aber bei ihr macht es nichts, da ist das irgendwie anders. Das Treffen war ganz nett, zehn Deutsche, die seit Jahren in Vancouver leben und arbeiten. Und der Netteste von allen war Paul.
    Paul hat mich gleich am nächsten Tag angerufen und gefragt, ob ich mit ihm auf den Grouse Mountain fahren will. Er ist ja Tourguide, also kann er da umsonst rein und er kann einen Gast mitnehmen und wir sind los. Man fährt mit der Seilbahn hoch, und oben lag gut Schnee, obwohl es unten in der Stadt eigentlich warm war. Und weil Dezember war, haben wir das Rentier bewundert und den Weihnachtsmann angesehen. Wir haben kein Foto mit dem Weihnachtsmann gemacht, weil wir ja erwachsen sind, nicht wahr. Aber ich bereue das jetzt, denn wenn wir Fotos gemacht hätten, hätte ich jetzt ein Foto von Paul und mir. Und dem Weihnachtsmann, aber das hätte ich in Kauf genommen, dafür, dass ich ein Foto mit Paul habe. Wir haben uns in der Cafeteria Kaffee geholt und Blueberry Muffins und uns auf die Terrasse gesetzt und die Muffins gegessen und den Kaffee getrunken. Von der Terrasse hat man einen fantastischen Blick, ganz Vancouver liegt einem zu Füßen, und ich habe Fotos von der Aussicht gemacht, und Paul hat gesagt: Ich wusste, dass dir das gefällt, meine Mutter ist auch immer ganz begeistert.
    Und da wusste ich: egal, wie nett Paul ist, und egal, wie jung ich vielleicht aussehe, und egal, wie gut wir uns verstehen, da werden immer diese elf Jahre sein. Und da gibt es nichts, was man machen kann.
    Es klopft. Das ist Dona Ermelinda. Und alles, was ich ihr erzählen kann, ist, dass ich mit meiner Mutter geskypt habe. Dona Ermelinda hält ein Dutzend Eier in der Hand und sieht mich prüfend an.
    „Irgendwas nicht in Ordnung?“, sagt Dona Ermelinda. „Sie sind so still?“
    „Ach nö, alles okay,“ lüge ich leichthin.
    So weit gehen selbst Dona Ermelindas Kontakte nicht, als dass sie was von Paul wissen könnte. Aber ihre Kontakte sind vielfältig und weitgestreut. Sie hat ein gutes Informationsnetz, und ihre Informanten sind ihre Verwandten. Eine Schwester in der Algarve, die in eine große Familie in Faro eingeheiratet hat. Ein Cousin in Lissabon, eine Cousine an der spanischen Grenze. Und der Sohn arbeitet schon seit vielen Jahren in Paris. Es gibt eine Theorie, dass jeder Mensch jeden anderen Menschen auf dieser Welt über sechs Kontakte kennt. Bei Dona Ermelinda dürfte das Verhältnis eher eins zu drei sein, jedenfalls, was die Iberische Halbinsel (die ganze portugiesische Verwandtschaft und eine Tante in Madrid) und Frankreich (der Sohn, die Schwiegertochter, die Enkelkinder) betrifft. Ich denke, sie wartet noch auf irgendwas, irgendeine kleine Information. Ich überlege und dann fällt mir ein: Ich gehe heute Abend mit Miguel Moreira essen. Das ist eine Information. Viel mehr passiert in diesen Telenovelas doch auch nicht, nicht wahr.
    „Miguel Moreira kommt heute Abend und wir gehen in Viseu essen“, sage ich. „Er lädt mich ein, ins Restaurante Congalesa “.
    Dona Ermelinda strahlt.
    „Ja, der Miguel ist ein netter Mann“, sagt sie.
    „Ja“, sage ich.
    „Und er macht einen so zuverlässigen Eindruck“, sagt Dona Ermelinda.
    „Ja“, sage ich.
    „Ist schon schön, wenn man selber über sein Leben bestimmen kann und tun und lassen kann, was man will“, sagt Dona Ermelinda. „Und Sie haben ja das Auto und können rumfahren und überhaupt ... Aber irgendwann sehnt man sich dann doch auch wieder nach einer Schulter zum Anlehnen.“
    Sie drückt mir das Dutzend Eier in die Hand und geht rüber zu ihrem Garten.
    Klar hätte ich auch gerne wieder mal eine Schulter zum Anlehnen. Das schon. Aber es soll eben nicht irgendeine Schulter sein. Und schon gar nicht die vom schmierigen Witwer, das sagt auch Dona Ermelinda. Der perfekte Single wäre perfekt. Der perfekte Single ist der Favorit von Dona Ermelinda. Der perfekte Single ist Miguel Moreira. Er ist in meinem Alter, wohnt in Porto, ist finanziell unabhängig, ist auch noch Architekt und außerdem ein total netter Mann. Er lädt mich zum Essen ein, er
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