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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul
Autoren: Annegret Heinold
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geht mit mir ins Kino und er bringt mir Billardspielen bei. Und ich frage mich, warum nicht der? Warum kann ich mich nicht einfach in Miguel Moreira verlieben?
     
    Und am Nachmittag ist dann plötzlich eine Antwort von Paul da. Auf Facebook. Als Antwort auf meine Nachricht. Paul schreibt:
    Ich musste gestern zum Casting. Dann war ich noch am Jericho Beach. Zum Skypen braucht man etwas Geduld. Besonders mit den Zeitverschiebungen ... Viele Grüße und nicht gleich aufgeben ...
    Ich lese das und mir fällt sofort eine Antwort ein und schon fange ich an zu tippen und zu tippen und zu tippen und kann überhaupt nicht mehr aufhören.
     
    Lieber Paul, du schreibst zum Skypen braucht man Geduld. Ach Paul, was weißt du schon von Geduld. Geduld ist genau das, was ich nicht mehr habe. Ich habe keine Geduld mehr, ich habe alle meine Geduld aufgebraucht in den letzten zwei Jahren. Und nun ist nichts mehr übrig. Meine Geduld ist aufgebraucht in Wartezimmern von Arztpraxen und Krankenhäusern. Meine Geduld ist zerfressen worden von Ungewissheit und Angst. Geduld, Paul – du benutzt das Wort, wie man es eben so benutzt, und wie ich es bestimmt auch benutzt habe, vorher. Vor Jans Krankheit. So wie wir es alle benutzen, ohne nachzudenken. Nun habe doch ein bisschen Geduld. Geduld nur Geduld ...
    Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn man auf das Ergebnis einer Biopsie wartet? Wenn jede Minute sich streckt und zieht und nicht enden will? Wenn du die Uhr in die Hand nimmst, weil du denkst, die Batterie ist kaputt? Aber es ist nicht die Batterie, die Batterie ist gut, die Zeiger bewegen sich, du bist kaputt, dein Zeitgefühl, du möchtest wissen, was die Zukunft bringt und möchtest es doch nicht wissen, das heißt, du möchtest wissen, dass die Zukunft Gutes bringt und genau das wird sie nicht tun. Und dann nach all dem geduldigen Warten kommt der Anruf des Arztes und er hat kein Ergebnis, weil irgendwas ist schief gelaufen mit dieser Biopsie und sie müssen sie wiederholen und du fragst den Arzt: Wie kann denn das angehen und er sagt nur, wir haben einen Termin für Montag.
    Und das bedeutet dann wieder ein ganzes Wochenende Geduld. Es bedeutet, wieder die Tasche fürs Krankenhaus packen. Dieses Mal muss Jan drei Tage bleiben, sie wollen es dieses Mal sehr gründlich machen, es soll nicht noch mal was schiefgehen. Und bis sie dann das Ergebnis haben, wird wieder Zeit vergehen und im Grunde wird es eine ganze Woche dauern, bis sie bestätigen, was du in deinem Inneren längst ahnst, aber nicht wissen möchtest. Es wird kein gutes Ergebnis sein. Und wenn deine Geduld bis dahin gereicht hat, und du hast das schlechte Ergebnis, und ihr versucht damit zu leben, dann kommt die Behandlung.
    Ach Paul, du weißt vermutlich nicht, wie lange so eine Chemo dauert. Ich wusste es ja auch nicht. Jan wusste es auch nicht. So eine Chemo dauert den ganzen Tag. Da braucht es viel Geduld. Erst die ganzen Untersuchungen, dann die ganzen Vorbereitungen. Sie versuchen, es noch ganz nett zu gestalten, die Schwestern scherzen mit den Patienten und wir Begleitpersonen bekommen einen Essensbon für die Ärztekantine. Das Krankenhaus hat einen großen Park und es ist Frühjahr. Es ist das alte Kolonialkrankenhaus in Coimbra. Es wirkt wie ein Museum. Es hat verschachtelte Gänge und einen komplizierten Aufbau und es braucht eine ganze Zeit, bis man sich dort zurechtfindet. Von nun an werden wir einmal in der Woche einen ganzen Tag dort verbringen. Jan in einem Liegesessel am Tropf, und langsam tropft das schwere Gift in seinen Körper und man hofft, dass es die bösen Zellen tötet und die guten leben lässt. Das Gift muss langsam einlaufen, sehr langsam einlaufen, es dauert Stunden, den ganzen Tag, da braucht es Geduld. Eine Geduld, die man aufbringt, weil man Hoffnung hat.
    Ich gehe derweilen draußen im Park spazieren, wo die Gärtner den Sommer vorbereiten und kann mich nicht am Frühling freuen. Was soll das für ein Frühling sein, der einem so viel Geduld abverlangt? Ich trinke meinen Kaffee an dem kleinen Kiosk. Der Besitzer begrüßt mich mit Handschlag und macht mir meinen Kaffee so, wie ich ihn am liebsten trinke – einen extra-dunklen Galão mit frischem Kaffee – ohne dass ich es sagen muss. Das ist kein gutes Zeichen. Es zeigt, wie oft ich hier in diesem Kiosk Kaffee bestellt habe. Wie oft ich in diesem Krankenhaus gewesen bin. Beim Mittagessen dürfen wir rein und den Angehörigen beim Essen helfen. Das Fleisch klein schneiden und die
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