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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul
Autoren: Annegret Heinold
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ich Clara.
    Clara zuckt mit den Schultern.
    „Wir können ja Agathe fragen“, sagt sie und öffnet ihre Handtasche.
    Sie wühlt eine ganze Weile drin rum, denn Claras Handtaschen sind wie Claras Kleider, unübersichtlich und voller Überraschungen. Und dann zieht sie eine kleine Puppe aus der Tasche und stellt sie zwischen unsere jetzt leeren Galão -Gläser. Die Puppe ist so groß wie ein kleiner Zierkürbis, hat auch ungefähr die Form, aber völlig andere Farben.
    „Darf ich vorstellen“, sagt Clara. „Das ist Agathe.“
    Agathe hat einen weißen Bauch, kleine aufgemalte rosa Füße, und der Rest ist irgendwie hellblau mit Blümchen. In der Mitte der Figur eingebettet ist der Kopf, rund und grinsend, mit Auge, Nase, Mund. Das Ganze erinnert an eine russische Puppe.
    „Und?“, ich sehe Clara an.
    „Wart´s ab“, sagt Clara. „Agathe ist eine Orakelpuppe, wir werden sie befragen.“
    Sie drückt auf ein kleines Knöpfchen hinten an Agathes, tja äh – Po, und Agathe nickt einmal mit dem Kopf.
    „Ich habe doch noch gar nichts gefragt“, sage ich.
    „Das ist nur die Begrüßung“, sagt Clara. „Sie zeigt damit, dass sie bei uns ist“.
    Vom Nebentisch starrt ein Mann zu uns herüber. Er schüttelt den Kopf. Wir lassen uns nicht irritieren, denn wir haben Besseres zu tun, wir wollen Agathe nach unserer Zukunft fragen.
    „Agathe ist ein bischen stur“, sagt Clara. „Du musst ziemlich laut und deutlich sprechen, sonst antwortet sie nicht.“
    Das ist mir jetzt aber doch ein bisschen peinlich. Soll ich hier im Einkaufszentrum, hier oben im Restaurantteil unter all den Leuten, laut und deutlich Agathe fragen, ob ich die nächsten dreißig Jahre alleine bin? Ich weiß nicht.
    „Ich weiß nicht“, sage ich zu Clara.
    „Na, nu stell dich nicht so an“, sagt Clara. „Außerdem sprechen hier die meisten kein Deutsch, sie können uns nicht verstehen.“
    Der Mann vom Nebentisch grinst jetzt. Womöglich hat er in Deutschland gearbeitet. Bei Mercedes in Sindelfingen oder was weiß ich wo, und er versteht jedes Wort und wir bieten ihm hier ein wunderbares Schauspiel, deswegen sitzt er hier so lange, damit er das Stück bis zu Ende genießen kann. Das Stück: Zwei verzweifelte Frauen in mittlerem Alter befragen ein Stück Plastik über ihre Zukunft. Eine der Frauen trägt eine Pünktchenhose.
    „Nu mach schon“, sagt Clara. „Ein bisschen Mut zum Risiko muss sein.“
    Ich hole tief Luft und sehe Agathe an.
    „Werde ich die nächsten dreißig Jahre alleine bleiben?“, frage ich Agathe und komme mir schon ein bisschen bescheuert vor. Agathe rührt sich nicht. Clara zuckt mit den Schultern.
    „Manchmal ist sie stur“, sagt Clara. „Vielleicht müssen wir auch das Knöpfchen noch mal drücken.“
    Am Nebentisch wird jetzt der Mann von seiner Frau abgeholt. Sieht jedenfalls aus wie seine Frau. Die Frau hat eine gepflegte Dauerwelle und trägt drei Tüten von Punt Roma am Arm. Die beiden reden. Der Mann erzählt ihr irgendwas. Jetzt grinsen beide. Dann steht er auf und sie gehen.
    „Also gut“, sage ich. „Los geht´s.“
    Clara drückt noch mal das Knöpfchen, ich hole tief Luft, Agathe nickt und ich stelle meine Frage. Laut und deutlich. Agathe rührt sich nicht. Wir starren beide die Orakelpuppe an. Und plötzlich schüttelt Agathe vehement den Kopf. Mann, da bin ich aber froh. Was, wenn sie mit dem Kopf genickt hätte? Womöglich hätte ich ihr geglaubt.
    „Meinst du wirklich, dass die Puppe orakeln kann?“, frage ich Clara.
    „Alles was vorstellbar ist, ist auch möglich“, sagt Clara.
    „Und nicht mal alles, was möglich ist, ist auch vorstellbar“, sage ich.
    Mann, was haben wir für schlaue Sprüche drauf. Aber Sprüche sind das Eine und das Leben das Andere. Ziemlich wenig ist doch wirklich vorstellbar, nicht wahr, wenn man mal ehrlich ist, und noch nicht mal davon ist alles möglich. So sieht es doch aus.
    „Du kannst die Puppe behalten“, sagt Clara.
    „Nein nein, muss nicht sein“, sage ich.
    „Doch“, sagt Clara. „Nimm sie. Ich wollte sie sowieso wegwerfen, deswegen hatte ich sie ja in der Handtasche. Aber dann hatte ich Skrupel. Aber jetzt hast du sie ja. Da ist sie in guten Händen.“
    „Das hat mir gerade noch gefehlt“, sage ich.
    In diesem Moment nickt Agathe, und zwar richtig heftig.
     
    *
     
    Als ich nach Hause komme, ist Hans-Dieter da und wartet auf mich. Sein Auto steht in meinem Hof, ein roter Golf mit deutschem Kennzeichen, obwohl er doch schon seit Jahren hier
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