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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze
Autoren: Robert Spaemann
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jedes Mal ab ovo beweisen. Er darf sich damit begnügen, die Unzulässigkeit der gegnerischen Argumente darzutun. In unserem Fall trägt also derjenige die Begründungspflicht, der den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergiegewinnung rückgängig machen will. Die Hintergrundüberzeugungen, die seine Argumente tragen, stehen zur Debatte.
    Welches sind diese? Da ist erstens die Vorstellung eines garantierten zivilisatorischen, technisch-wissenschaftlichen Fortschritts oder wenigstens der Erhaltung des heutigen zivilisatorischen Niveaus für die Dauer der Strahlung des Atommülls, also für die nächsten10000 Jahre. Man muss das voraussetzen, wenn man durch Lagerung des Atommülls No-go-Areas schaffen will, deren Respektierung auch noch nach Jahrtausenden erwartet werden kann, weil das diesbezügliche Know-how noch existiert und weil unsere Warnschilder noch existieren, noch gelesen und noch verstanden werden. Nichts berechtigt zu dieser Erwartung. Sie ist eher eine unwahrscheinliche Annahme. Unsere wissenschaftlich-technische Zivilisation ist eine labile und gefährdete Ausnahmeerscheinung auf diesem Planeten. Es ist frivol, in sie für unsere späten Nachkommen Gefahrenquellen einzubauen, die über die ohnehin vorhandenen natürlichen hinausgehen und die von unseren Nachfahren möglicherweise nicht beherrschbar sein werden – es sei denn, es gelänge, diese Zonen für zehn Jahrtausende garantiert unzugänglich zu machen.
    Dass dies mit Sicherheit gelingt, ist die zweite Hintergrundannahme. Die Endlagerfrage ist bisher ungelöst. Das Endlager muss nicht nur für Jahrtausende resistent sein gegen alle möglichen natürlichen Einwirkungen. Es muss auch für Menschen definitiv unzugänglich sein. Wir kennen in der Geschichte keine Zivilisation von vergleichbarer Dauer. Wir wissen nicht, ob eine Menschheit, die das Wissen um die Strahlung verloren hat, auch die Möglichkeit zu Bohrungen verloren haben wird, die die unsrigen übersteigen. Das ist nämlich durchaus denkbar. Wir wissen zum Beispiel nicht mehr, wie die Erbauer von Stonehenge ihre Steinblöcke aufeinandergetürmt haben. Wir können vieles, was sie nicht konnten, siekonnten etwas, das wir nicht können. Das aber heißt: Die Anforderungen an die Endlager müssen sehr hoch sein. Sie müssen resistent sein gegen jede Form von Überschwemmung und gegen alle denkbaren geologischen Veränderungen innerhalb des genannten Zeitraums. Immer noch leben wir aber in dieser Hinsicht vom Prinzip Hoffnung, jedoch so, dass wir das sogenannte Restrisiko nicht selbst tragen, sondern auf unsere ohnmächtigen Nachfahren abwälzen. Leider gehört diese Abwälzung zu den Kennzeichen unserer gegenwärtigen Zivilisation. Unsere Familien- und Steuerpolitik belastet skrupellos unsere Kinder und Enkel, und wenn wir an die verbrauchende Embryonenforschung denken, so müssen wir feststellen, dass diese Verlagerung inzwischen Formen des Kannibalismus annimmt.
    Mit der Erzeugung von Atomkraft zu beginnen, ehe die Endlagerfrage definitiv geklärt ist, war in jedem Fall ein unverantwortlicher Poker, selbst wenn sich tatsächlich am Ende eine Lösung finden wird. Die Sicherheit, dass sie sich finden wird, beruht auf einer weiteren, quasi religiösen Hintergrundüberzeugung, nämlich der, dass es immer eine prästabilierte Harmonie geben wird zwischen unseren Bedürfnissen und der Bereitschaft des Universums, diese zu erfüllen. »Ich brauche das!« ist seit den sechziger Jahren im Mund von Menschen, die sich weigern, erwachsen zu werden, so etwas wie eine letzte, nicht mehr weiter zu hinterfragende Begründung von Forderungen an ihre Mitwelt. Das Universum ist aber dadurch nicht zu beeindrucken. Und der Glaube, dasssein wird, wovon wir denken, dass es doch sein müsste, ist ein kindischer Glaube. Ob wir ein Endlager der beschriebenen Art finden werden, wissen wir erst, wenn wir es gefunden haben.
    Man könnte einwenden, das gelte auch für die Erwartung, vollwertigen Ersatz für die aus der Atomspaltung resultierende Energie zu finden. Aber dabei würde man zwei Unterschiede übersehen. Erstens wissen wir schon, in welcher Richtung das Ziel der alternativen Bemühungen liegt, und die Erreichung dieses Ziels hängt weitgehend von unseren eigenen Bemühungen ab. Zweitens aber: Man betrachtet als unverzichtbare Bedingung für jede Alternative, dass der bisherige Energieverbrauch allenfalls durch bessere Ausnutzung der Ressourcen gesenkt wird, niemals aber durch Einschränkung unseres Konsums.
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