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Nach dem Sturm

Nach dem Sturm

Titel: Nach dem Sturm
Autoren: Simon X. Rost
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Kuchen. Ich stehe auf, gehe auf sie zu. „Aber genau das ist doch der Fehler, Rhonda. Wir sind die neue Führungsschicht dieser Stadt. Wir haben Verantwortung! Wir müssen unseren Nachbarn und allen anderen mit gutem Vorbild vorangehen, wir müssen ein Beispiel an Zurückhaltung und Bescheidenheit sein, sonst sind wir keinen Deut besser als Hudson und seine Leute. Sonst sind Neid und Missgunst und Hass der Unterprivilegierten die unausweichliche Konsequenz. Du weißt doch, wie die Leute sind!“
    Ich will Rhonda in den Arm nehmen, aber sie macht einen Schritt zurück. Ihre Wangen sind rot. „Ach ja? Dann erzähl das doch mal Sato und Heather und auch deinem lieben Freund Kellogg, der sich in einer Stretchlimousine mit Begleitschutz durch die Stadt kutschieren lässt wie ein Rockstar! Er fährt zu den teuersten Restaurants, wo er den Inhalt der Weinkeller und Tiefkühltruhen beschlagnahmt. Angeblich für seine Soldaten. Tatsächlich geht er mit dem Zeug aber zum „Little Kitten“ und schmeißt dort Orgien und lässt die Nutten für sich tanzen. Ist das vielleicht bescheiden? Ist das die „neue Ordnung“ von der du sprichst?“
    Sie ist laut geworden und ich hebe beschwichtigend die Hände. „Rhonda, Rhonda, bitte! Was glaubst du, wie ärmlich George Washington in den Revolutionsjahren und danach-“
    „Washington? Bist du noch bei Trost, Jefferson?“, schneidet sie mir das Wort ab.
    „Das hier ist keine fromme Wahlrede! Und du bist nicht George Washington! Hier geht’s um uns. Um deine Familie! Ich finde es ehrenwert, dass du so ein bescheidener, anständiger Kerl bist. Deswegen habe ich dich auch geheiratet. Aber wenn sich die anderen ehrenwerten Führungspersönlichkeiten dieser Stadt die Taschen vollmachen und sich für die Entbehrungen im Kampf großzügig entschädigen, dann will ich, dass meine Tochter auch etwas davon hat, hörst du?“
    Ihre Frage verhallt im Wohnzimmer.
    Ich blicke auf die ausgetretenen Linoleumfliesen und überlege, was ich darauf antworten soll. Im Grunde hat sie recht. Und es macht mich wütend, dass sie recht hat, und noch viel wütender bin ich darüber, wie schamlos Sato, Heather und Kellogg ihre Privilegien nutzen. Ausnutzen. Und ich ärgere mich über mich selbst, weil ich so lange darüber hinweggesehen habe und so getan habe, als sei das ganz normal. Oder eine Ausnahme, die bei all der guten Arbeit, die sie leisten, nicht ins Gewicht fiele. Aber natürlich hat Rhonda recht.
    Ich denke darüber nach, wie ich ihr entgegenkommen kann, ohne mich auf den gleichen, schmutzigen Pfad wie die anderen zu begeben. Es ist mir nämlich egal, ob sie sich die Taschen vollmachen. Ich will das nicht. Ich will gerade etwas über eine neue Wohnung sagen, um die ich mich kümmern werde, als es an der Tür klopft. Laut. Mehrmals.
    „Jefferson! Bist du da? Mach auf! Bitte!“, dringt es gedämpft durch die Wohnungstür zu uns. Ich kenne die Stimme. Es ist Floyd. Und er hat Angst. Mit drei Schritten bin ich bei der Tür und öffne sie. Floyd sieht gehetzt aus. Er ist völlig außer Atem.
    „Du musst was tun! Sie haben Carl und Sophie abgeholt!“

- 8 -

    Glasscherben knirschen unter meinen Schuhsohlen, als ich den Laden betrete. Rebecca, die siebzehnjährge Tochter von Carl und Sophie klaubt grellrote Schwimmer und Köder und Blei aus den Scherben. Immer wieder wischt sie sich eine Träne von der Wange. Wir kommen zu spät.
    Das IFIS hat sie schon mitgenommen.
    Rebecca blickt zu mir auf. „Ich muss das hier in Ordnung bringen“, sagt sie. „Morgen wird der Laden wieder voll sein, wissen Sie, Mr. Prey? Immer mehr Leute versuchen ihr Glück im Cale River, seit es in den Läden nur noch Essen gegen Marken gibt.“
    Ich nicke wortlos, beuge mich zu ihr herunter und helfe ihr. Floyd nimmt einen Besen und fegt die Scherben der Vitrinen zusammen. Carl und Sophie haben nach dem Kampf ihren Laden für Anglerbedarf wieder eröffnet. Und er lief gut.
    Jetzt sind die Regale und Auslagen mit den Angeln und den Netzen zertrümmert. Sogar die Holzvertäfelung an der Wand ist zerbrochen. Spulen von Nylon haben sich entrollt, bedecken den Boden mit einem transparenten Netz.
    Hinter uns klingelt das Windspiel, das Carl als Ladenglocke über der Tür angebracht hat. Walt Shriver betritt den Laden, sein Gesicht ist aschgrau, er zittert. „Diese Schweine!“ zischt er. „Diese verdammten Schweine! Ich habe alles gesehen! Von gegenüber! Was werden die mit ihnen anstellen, Jefferson?“
    Ich blicke ihn
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