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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Farris Smith
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Sonnenschein, verlass uns nicht, schau mich an, Cohen, ich sagte, du sollst mich anschauen, wir kommen bald irgendwo hin, denk nicht daran, ich weiß, dass es wehtut, aber es wird nicht so bleiben, wir sind bald da, gib nicht auf.
    Er hob den Kopf und starrte sie ausdruckslos an.
    Evan fluchte vor sich hin und schlug auf das Lenkrad, aber der Sturm wollte nicht aufhören. Mariposa nahm eine Hand vom Hemd und wischte mit dem Handrücken den Regen und den Schweiß von Cohens Gesicht.
    Er starrte sie an, während sie immer weiter über den Highway fuhren. Das Blut tränkte seine Hose, und seine Kräfte schwanden. Eine halbe Stunde verging, sie fuhren weiter nach Norden, und Cohen versuchte, nicht einzuschlafen, versuchte, nicht zu zeigen, wie er sich fühlte, aber er wusste, dass er davonglitt. Seine Stirn klebte am Fenster, seine Augen waren weit aufgerissen, und seine Hände lagen auf denen von Mariposa, die das Hemd gegen die blutende Wunde drückte. Er starrte aus dem Fenster und hörte Mariposas Flehen und hörte Evan und hörte den Regen und den Donner und das Rauschen des Wassers unter dem Wagen. Er hörte alles, spürte alles. Er starrte hinaus auf das gepeinigte Land, und da war sie.
    Sie lief über eine Straße mit Kopfsteinpflaster an einem klaren Tag in Venedig. Die Männer drehten sich um und schauten ihr zu. Die Frauen sahen auf, als sie vorbeiging. Sie lief auf ihn zu und setzte sich an einen Tisch für zwei vor einem Café. Die Sonne schien in die Gasse, und sie rutschte in den Schatten, schaute ihn an und sagte, ich will hier nicht weg. Auf dem Tisch lag eine Maske, die er an einem Stand auf der Rialto-Brücke für sie gekauft hatte. Rot und schwarz umrandete Augen, eine Träne auf der linken Wange und ein tiefroter Mund, der teuflisch grinste. Sie nahm die Maske und bedeckte damit ihr Gesicht. Ihre Augen rollten hin und her, und sie sagte, ich gewöhne mich langsam an diese Stadt. Mir kommt es vor, als würde ich schon hierhergehören. Er konnte nachvollziehen, dass sie an einen Ort wie diesen hier gehörte, aber es war ihm egal, wo sie war und wohin sie gehörte, solange er auch da sein konnte.
    Ich will hier nicht weg, wiederholte sie, legte die Maske beiseite und verzog das Gesicht wie jemand, dem etwas weggenommen wurde.
    »Cohen«, sagte Mariposa und berührte seine Wange. »Kopf hoch. Komm schon. Kopf hoch. Jesus Christus, komm schon.«
    Seine Lider waren schwer, aber offen. Er sah, wie der Kellner aus dem Café kam, um ihnen den Espresso zu bringen. Elisa schaute die Menschen auf der Straße an, und er schaute sie an. Die Luft von Venedig war erfüllt vom Geplapper einer fremden Sprache und dem Klappern der Espressotassen und Untertassen. Irgendwo sang ein alter Mann. Es ist verrückt, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Wir beide haben unser ganzes Leben am Wasser verbracht, aber hier fühlt sich das ganz anders an. Hier ist man umgeben vom Wasser. Sie presste nachdenklich die Lippen zusammen, und er fragte sie, ob das gut oder schlecht sei, und sie sagte: gut. Du würdest dich daran gewöhnen, sagte er. Und sie schüttelte den Kopf, drehte sich zu ihm um und lächelte, und er spürte, dass sie mit sich im Reinen war.
    Eines Tages kommen wir hierher zurück, versprach er und nahm ihre Hand.
    »Bleib bei uns«, schrie Mariposa. Sie packte sein Gesicht mit beiden Händen und schüttelte seinen Kopf. Er schaute sie an, aber er sah sie nicht. »Bleib hier, Cohen. Bleib hier, komm schon, bleib hier. Komm schon!«
    »Was ist?«, schrie Evan. »Was ist los?«
    »Schau mich an. Schau uns an. Wir werden es schaffen. Es liegt doch alles hinter uns, Cohen. Es ist alles vorbei«, sagte Mariposa mit bebender Stimme, sein Gesicht in ihren Händen, und der Regen und der Schweiß und das Blut liefen in dünnen Rinnsalen über ihre Finger und Handgelenke, und sie sah, dass er längst ganz woanders war. »Cohen. Sieh mich an. Bitte, komm schon. Wir haben es geschafft, wirklich.«
    Das nächste Mal haben wir vielleicht einen kleinen Wagen dabei, für du weißt schon, sagte Elisa, und er lächelte und fragte sie, wovon sie da spreche. Irgendwann ist es da, sagte sie, es dauert nicht lange. Wir können noch ein bisschen warten, aber du weißt es schon, nicht wahr? Du kannst dich ja schon mal darauf vorbereiten, aber ich glaube, du bist ganz gut darin. Der Ausdruck in ihren Augen änderte sich von friedvoll zu zuversichtlich. Sie freute sich auf die Jahre, die vor ihnen lagen. Sie lächelte und sagte, hab keine
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