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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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jetzt schon mutiger hinter ihrem Rock in meine Richtung.
    Ich: «Was heißt denn Klettsen ?»
    «Ah, des is a Dummkopf», erklärt Frau Untermair freundlich. «Kilian, du duast di bei unsam Untermieter entschuldigen.»
    «Dua i ned, der Papa hod aa gsagt, dass des a bleda Saupreiß is.»
    Ich richte mich auf und wende mich Herrn Untermair zu, doch der zuckt nur die Achseln. «Kinder», sagt er. «Sie müssen verstehen, er mag es nicht so gern, wenn jemand oben wohnt. Dann ist der Ludwig nämlich nicht so oft bei ihm hier unten.» Nun habe ich keine Lust mehr zu lächeln. Brauche ich auch gar nicht, denn Herr Untermair schiebt mich in den Flur. «Sie wollen sich bestimmt noch die Umgebung anschauen», befiehlt er und schmeißt die Tür hinter mir ins Schloss.
    Eine bleierne Decke aus absoluter Ereignislosigkeit liegt über Daglfing, ähnlich wie in Tiefenwalde, meinem Heimatdorf. Zu Hause fühle ich mich trotzdem nicht. Erst nach längerem ziellosen Umherstreifen entdecke ich hinter der Einfamilienhaus-Einöde einige Wohnblöcke, in denen vermutlich die einkommensschwächeren Daglfinger wohnen. Auch hier stehen nagelneue BMWs. Der Bürgersteig scheint blank geleckt – keine einzige Zigarettenkippe, keine Coladose, kein Dreck. Kleine, saubere Kinder spielen friedlich und leise mit Spielzeugautos. In meinem alten Viertel hätten die Kinder wohl eher eins von den großen Autos geklaut.
    Ach Berlin!
     
    Etwas später stoße ich auf den örtlichen Supermarkt. Mal schauen, was der so zu bieten hat. Immerhin gibt es in Bayern 623 Brauereien, das habe ich vorab recherchiert. Macht etwa vierzig Prozent aller europäischen Brauereien überhaupt. Im Getränkeregal entdecke ich tatsächlich viele neue Sorten mit rustikalen Namen: Augustiner Edelstoff, Spaten, Arcobräu, Franziskaner, Altenmünster, Tegernseer, Hofbräu, Hacker-Pschorr, und das meiste davon auch als Dunkel-und Weißbier. Mit 0,33-Liter-Flaschen gibt sich hier offenbar keiner ab. Ich nehme also eine Halbliter-Flasche von jeder Sorte. So ähnlich muss sich Noah gefühlt haben, als er seine Arche bestückte.
    Als ich mit dem Einkaufswagen an der Fleischtheke vorbeirolle, fällt mein Blick auf etwas, das aussieht wie ein Haufen toter Pimmel. Ich ahne schon, was ich da vor mir habe: die legendäre Weißwurst – kleine, leicht gebogene Stücke bleichen Fleisches in glänzendem Darm. Gern würde ich eine oder zwei davon kaufen, aber ich weiß nicht, wie. Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir mein Hochdeutsch unangenehm.
    Der Fleischer ist klein, dick und fleischig, wie es sein Berufsstand verlangt. Er hat diese runden roten Kinderbäckchen, in die Großmütter und Tanten so gern kneifen. «Servus», sagt er zu mir. Ich schrecke zusammen. «Grüß Gott», entgegne ich unterwürfig. Er dankt es mir mit einem mitleidigen Lächeln. «Was darf’s denn sein?»
    «Ich hätte bitte gerne zwei Weißwürste», sage ich mit ungewollt scharfer Betonung auf den beiden «s».
    Der Fleischermeister packt zwei Würste, hüllt sie in Plastik, tackert das Preisschild an die Papiertüte und reicht sie über die Theke. Auf der Verpackung steht «Schwein gehabt». Darunter stellt ein gutgelauntes Schwein mit Sonnenbrille seinen Sixpack-Bauchmuskel zur Schau. Ich lasse die Tüte in meinen Wagen fallen und rolle etwas ratlos in Richtung Kasse. Wie bereitet man die Dinger eigentlich zu?
    Der Fleischermeister merkt, dass etwas nicht stimmt. «Die dürfens ned kochn, bloß warm machen.» Aha. «Kochens a Wasser, nehmens den Topf von der Plattn, tuans die Wüaschtl nei, und nach zehn Minuten sans al dente.» Klingt machbar. Ich bedanke mich artig.
    Als ich mich umdrehen will, bekommt eine Fleischerkollegin Lust, mir zu erklären, wie bayerische Lebensart funktioniert: «Dazu essens Brezen und an süßen Senf.» Süßen Senf habe ich bei meiner ersten Bestandsaufnahme im heimischen Kühlschrank entdeckt. Doch um zu beweisen, dass es mir ernst ist, rolle ich mit meinem Bierwagen in Richtung Würzsaucen-Regal. Jetzt hat sich noch eine weitere Fleischerin zu den beiden gesellt. Zu dritt dirigieren sie mich direkt vor das richtige Regal. «Händlmaier’s!», weist mir der Fleischerchor den Weg. Vor der Theke hat sich eine kleine Schlange gebildet, die mich bei der Senf-Auswahl beobachtet. Ich greife zu dem größten Glas und recke es triumphierend meinem Publikum entgegen. Dann überlasse ich die drallen drei wieder sich selbst. Beim integrierten Bäcker kaufe ich, wie befohlen, noch zwei
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