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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus
Autoren: Lotte Kühn
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Kühlschrank abzutauen oder mit meiner Freundin zu telefonieren, als brummend durch die Wohnung zu laufen und dabei ein Plastikflugzeug über meinem Kopf zu schwenken.
    Aber auch, wenn ich beim Memory eine Lusche bin – richtige Spiele spielen ist doch etwas ganz anderes: Schnell irgendwo ankommen, möglichst viel zusammenraffen oder etwas loswerden. Mit Karten, Würfeln und Figuren dem Sieg entgegen und Rivalen ausstechen. Jeder gegen jeden. Allein gegen alle. Oder zu zweit im Bund gegen die anderen. Schummeln, tricksen, Mitleid heucheln, sogar vorbildlich verlieren – herrlich. Familienabende, an denen sich unterirdische Aggressionen, spontane Häme und schwelende Ressentiments auf kleine rote, blaue und grüne Spielsteine übertragen lassen, verwandeln sich unweigerlich zu goldenen Erinnerungen an kuschelige Nestwärme zu Hause und eitel Sonnenschein im Kreise meiner Lieben – sobald sie überstanden sind. War das damals großartig, wenn mein Bruder die Karte zog: Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 4.000 Mark ein. Gehe ins Gefängnis. Und meine kleine Schwester heulte, weil sie beim Mensch-ärgere-dich-nicht immer als Erste rausflog. Oder erst die Halma-Nachmittage mit meiner Oma, die mich unbarmherzig abgezockt hat und am Ende meine Tränen kaltschnäuzig kommentierte – es war doch nur ein Spiel!
    Da gibt es schier unendliche Möglichkeiten, rufe ich meinen Kindern zu. Sie gähnen. »Die Welt eine Bühne, das Leben ein Spiel«, versuche ich’s mit Anleihen bei Shakespeare. Ich gerate ins Schwärmen. All das lustige Verschieben und Verschlucken winziger Spielsteine, das ramboeske Spitz pass auf und erst die erlesene Bosheit von Mensch-ärgere-dich-nicht. Jedem Tierchen sein Pläsierchen: Trivial Pursuit für Angeber, Scrabble für Wortkünstler, Mikado für Grobmotoriker, Mau-Mau für Schlitzohren, Malefitz für Borderliner.
    Es ist der Generationen betörende Charme von Monopo ly , seine Geschwister in den Ruin zu treiben, der an diesem Abend dann doch verfängt. Für heute jedenfalls hat die Fernsehwette gründlich verloren. Sobald Regeln, Wettbewerb und Zufall wie Urgewalten aus dem Pappkarton gelassen werden, erwachen sie wie die Untoten zum prallen Leben. Die Jagd auf das E-Werk, der Versuch, alle Bahnhöfe zu kaufen und uns gegenseitig mit Hypotheken zu überhäufen, entzweit und eint uns als Familie aus eiskalten Turbokapitalisten, nimmermüden Raffzähnen und lupenreinen Gierlappen.
    Jedem das seine und mir das meiste, das ist es, was hier gespielt wird: Weit nach Mitternacht konnte ich dann endlich das erste Hotel in der Schlossstraße kaufen. Ha!

Sex and drugs
and rock’n roll
    »Da ist ein Mädchen drin!«, wispert mein Jüngster und hat die Augen weit aufgerissen. Um mir diese ungeheuerliche Neuigkeit mitzuteilen, ist er extra noch einmal aufgestan den, der gute Junge. Mit dem Kinn deutet er finster auf die  verschlossene Zimmertür seines großen Bruders. »Waaaas?«, rutscht es mir raus, und er nickt eifrig. »Ja, aber ich soll’s dir nicht sagen!« Courage, Mutter. Einmal tief durchatmen, bevor man allzu spontan reagiert, ist immer eine gute Idee. »Sie haben abgeschlossen!«, flüstert der Kleine, und beweist damit einmal mehr, dass er meine Gedanken lesen kann, noch bevor ich sie ganz fertig gedacht habe.
    Dann legt er den Finger auf den Mund, und wir gehen beide vorsichtig auf Zehenspitzen rückwärts in die Küche zurück, schließen die Tür. »Was machen wir denn jetzt?«, fragt er mitfühlend. »Gar nichts. Du gehst ins Bett und ich muss nachdenken.« Er seufzt ergeben und geht, an der Tür dreht er sich noch einmal um. »Wenn du reden willst, ich bin immer für dich da.« Danke, mein Schatz – und das war doch eigentlich mein Satz?
    Ich gehe in der Küche auf und ab und fahnde nach irgendetwas Brauchbarem im wirbelnden Durcheinander streitsüchtiger Stimmen, die mir ungebeten den Kopf immer voller füllen. »Ist doch nichts dabei! Jungs sind so«, schrillt es. »Also wirklich, bei aller Liebe!«, ereifert sich’s, »muss das denn jetzt wirklich sein!« Von irgendwoher tönt’s schrill: »Hallo! Wo ist denn deine Toleranz geblieben! Stell dich mal nicht so an! Besser hier zu Hause als irgendwo in finsteren Ecken!« Leise höre ich’s summen: »Vielleicht ist sie ja auch ganz nett!« – »Pah!«, unterbricht eine andere Stimme und höhnt, »zuerst sind sie ganz nett und dann …« Hoch quietscht eine weibliche Stimme, rast schnell wie der Blitz durch die geschlossene Tür durch
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