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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus
Autoren: Lotte Kühn
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Große vorbei, und ich hätte sie fast nicht erkannt. In Nachtblau, glänzend und supereng, so ein Fast-Nichts zum auf dem Klavier räkeln, Mähne schütteln und mit rauchiger Stimme … Nein. Ich halte mir die Ohren zu und reibe mir die Augen. Aber es ist nicht mehr zu leugnen. Kein Zweifel, mein Baby ist erwachsen geworden. D och bei aller Liebe – um welchen Preis! Ich blinzle das baumelnde Schildchen an. Und schüttel stumm den Kopf .
    Die Kleine ist gleich verschwunden und taucht blitzschnell wieder auf. Diesmal in grün-türkis-changierender Pracht, von einer glitzernden Gemme an der kindlich-runden Schulter gehalten. »Damit würde ich wie eine Froschkönigin aussehen!«, schwärmt sie. Das käme auch nicht so teuer, fährt sie tröstend fort, denn die Krone und den grünen Nagellack hat sie schon. Bloß halt, die goldenen Highheels, die fehlten natürlich noch und der passende Schmuck, eine Clutch, ja das wäre dann auch noch so ein Problem … »In zwei Jahren …«, murmel ich müde. »Phhh!«, sagt sie. Gefühlte sieben Stunden und rund siebenundneunzig Roben später erstrahlt die Große in einem teuren tiefroten Tafttraum. Süßer Vogel Jugend, ach! Ich werde fast schwach und fühle mich steinalt. »Zu teuer«, sagt sie plötzlich energisch und zieht das Teil einfach wieder aus. Ich bin verwirrt. Sie kommt mit einem nicht unschicken, sehr schlichten, schwarzen, langen und deutlich heruntergesetzten Kleid zurück. »Das ist okay«, befindet sie und angelt nach dem Preisschild. »Nehm ich.« Überrascht von diesem untypischen Ausbruch solider Bescheidenheit wende ich zaghaft ein, dass Oma ihr doch … und überhaupt, jetzt reiße ich mich zusammen, das Geld darf sie natürlich auch für ihr Kleid ausgeben … wie sie halt will. »Mach ich doch«, sagt sie schnippisch. »Oma hat mir dreihundert Euro gegeben.« Mein Kopf fängt schon wieder mit der Schüttelei an. »Ich musste dich anlügen, sonst wärst du ja nicht mitgekommen«, flötet sie amüsiert und high-heel-hoch überlegen. »Das reicht für drei Kleider!« Ihre Schwester hüpft in grün um sie herum. »Und für drei Eintrittskarten! Hat sie uns geschenkt! Wir kommen mit! Oh, geliebte Jane!« Ich traue meinen Ohren nicht, irgendwas läuft hier schief. »Entspann dich, Mama! Irgendwie muss ich ja auch mal danke sagen, für den Kurs und den Fahrservice und so«, sagt die Große. »Los. Und jetzt suchen wir ein Ballkleid für dich!«

»Der macht mich noch
wahnsinnig!«
    »Der macht mich noch wahnsinnig!«, schluchze ich durchs Telefon, und die Oma des Terroristen gibt ungerührt zurück: »Du warst doch auch nicht besser!« Mag ja sein, dass ich möglicherweise als 13-Jährige ein-, zweimal mit einem schüchternen Widerwort den Unmut meiner Mutter erregt habe. Doch dafür hatte ich dann bestimmt auch einen guten Grund. Aber mein großer Junge? Ich meine, ich bin nett, gar nicht streng, fast nie gemein und halte stets respektvoll eine warme Mahlzeit bereit, wenn er überraschend aus der Schule heimkehrt. Außerdem verbiete ich nichts willkürlich und bin einem guten Argument immer zugänglich. Toll tolerant bin ich, jedenfalls im Vergleich zu den Eltern, die ich aus meiner Kindheit kenne.
    Wieso also ist dann seine Zimmertür immer geschlossen, so dass ich still und ohne zu zetern bete, er möge dahinter einfach nur reifen wie guter Wein. Also warum muss er jetzt ausgerechnet hinter dieser verschlossenen Tür auch noch Eminem stundenlang motherfucker brüllen lassen? »Sieh mal«, erklärt mir meine Mutter die Welt, »du hast uns damals mit Keine Macht für niemand terrorisiert und Macht kaputt, was euch kaputt macht an deine Zimmertür geschrieben. Und weißt du noch?« Jetzt gerät sie richtig in Fahrt, in ihrer Stimme vibriert uralte Empörung, die wie im Einmachglas konserviert frisch geblieben ist. » Sie versauen dich, deine Mum und dein Dad; sie meinen’s nicht so, aber sie tun’s. Alle ihre Fehler geben sie an dich weiter, und sie fügen noch ein paar dazu, die dir allein gehören.« Das hast du deiner Schwester ins Poesie-Album geschrieben! Meinst du, das hätte uns nicht wehgetan?« Ein kleiner Schluchzer löst sich aus dem ewigen Eis ihres vergletscherten Kummers, fällt durch die letzten dreißig Jahre, ploppt im Hier und Jetzt durchs Telefon und rieselt salzig in meine offenen Wunden. »Jetzt siehst du mal, was wir durchgemacht haben!«
    Oh je, Philipp Larkins Satz, den ich damals von den Lippen des süßesten Jungen der Klasse aufgesagt
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