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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus
Autoren: Lotte Kühn
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bekam – gut, ich geb’s ja zu, war jetzt nicht so nett. Aber wenn man El tern hat, die musikalisch bei den Wiener Sängerknaben , Shantys und Opernarien stehen geblieben sind, wird man doch noch mit Ton Steine Scherben das eigene musikalische Revier markieren dürfen! Sich abgrenzen, ha! Pubertät, wo ist eigentlich dein Stachel? »Wenn ihr nur ein bisschen moderner gewesen wärt oder meine Musik auch nur mal angehört hättet, hättet ihr euren musikalischen Horizont erweitern können, und ich hätte gar nicht so aufdrehen müssen«, versuche ich schlau, verlorenes Terrain zurückzuerobern. »Hätte hätte Fahrradkette«, ahmt meine Mutter den Tonfall ihres Enkels nach. »Geschieht dir ganz recht jetzt.«
    Plötzlich habe ich eine richtig gute Idee, wie ich mit Eminem fertigwerde. Ich lasse ihn höchstselbst in meinem Auto giften und pöbeln, gleich morgen, wenn ich meine Jungs vom Fußball abhole. Das wollen wir doch mal sehen!
    Es hat übrigens wunderbar geklappt. Fassungslos schaut mich der große Junge an, als motherfucker aus den Boxen dröhnt. Der Kleine grinst verschwörerisch, schließlich hat er mir die CD gebrannt. »Manno, Mama, nee, ne?«, stöhnt der Große. Und schon hat sich Eminem erledigt. Aus seinem Zimmer quellen noch immer komische Gesänge, aber kein motherfucker mehr. Ich bin bass erstaunt. Was für ein genialer Trick! Der Doppelte Rittberger der Defensivpädagogik! Und so ausbaufähig! Begeistert lasse ich die prachtvolle Parade meiner neuen Möglichkeiten an mir vorüberziehen: Ich könnte mit meinen Haaren den Abfluss im Bad verstopfen, ihnen das Kleingeld aus der Hosentasche klauen, den Flur mit meinen Schuhen verbarrikadieren, den Kühlschrank leer futtern, den Müll einfach stehen lassen, in einer Sprache reden, die sie nicht verstehen und falls es mir gerade passt, die Arbeit schwänzen und heimlich anfangen zu rauchen. Im Morgengrauen nach Hause kommen ohne Bescheid zu sagen und meine Freunde vor ihnen verbergen.
    Ja, ich könnte meine Kinder nach Herzenslust peinlich finden und das auch immer wieder mimisch kundtun. Abgrenzen wollt ihr euch? Gebongt, hier kommt die Steilvorlage! Und schon benähmen sie sich alle vier rücksichtsvoll, übten sich in Selbstbeherrschung, Langmut und Geduld. Gäben mir ein Vorbild an Gelassenheit und nähmen meine Schwächen mit Humor. Sie ermahnten mich bisweilen, räumten täglich schimpfend hinter mir her und hielten lange Vorträge, bei denen ich versuchte, angemessen zerknirscht zu wirken. Ich müsste mich irgendwann wirklich zusammennehmen, sonst kriegte ich noch richtig Ärger.
    Und wenn dann eines Tages einer von ihnen ins Telefon »die macht mich noch wahnsinnig« schluchzte, würde ich noch lange nicht damit aufhören.

Kein Anschluss unter
dieser Nummer
    »Sie wollten mich erreichen?«, näselt die Deutschlehrerin meines Ältesten ins Telefon. »Also, fassen Sie sich bitte kurz. Ich habe überhaupt keine Zeit und das ist schon jetzt praktisch eine Überstunde, wenn ich Sie überhaupt zurückrufe«, haspelt sie, »wissen Sie, das bezahlt mir keiner und überhaupt – ich hatte diese Woche schon ein Elterngespräch!« Hoffentlich legt sie jetzt nicht gleich auf. And the operator says, forty cents more for the next three minutes, singt plötzlich der Chor in meinem Kopf, Dr. Hook & the Medicine Show, Sylvia’s Mother, 1972 …
    Ich verspreche hastig, sie nicht lange aufzuhalten, Please Mrs. Avery, I just gotta talk to her, I’ll only keep her a while … , windet sich Dr. Hooks Jaulen durch mein Ohr. Dieser kitschigste aller kitschigen Teenager-Herz-Schmerz-Songs könnte zum heimlichen Soundtrack von Gesprächen werden, die man mit Lehrern so führt. Please, Mrs. Avery … Dabei habe ich doch ein ernstes Anliegen. Es geht um meinen Jungen, der sich rundheraus weigert, seine Hausaufgaben zu machen und darüber in Tränen ausgebrochen ist: Die Lehrerin hat sein Heft vor der Klasse hochgehalten und allen gesagt, wie hässlich er schreibt und dass er nie was wird in der Schule, wenn er weiterhin so hässlich und dumm schreibt. Ich traue meinen Ohren nicht und versuche also, mir mit einem Telefonat Gewissheit zu verschaffen. Meine artigen Entschuldigungen für einen Anruf bei einer Lehrerin um vier Uhr nachmittags unterbricht sie barsch. »Was gibt’s denn nun so Wichtiges zu besprechen?« And the operator says, forty cents more for the next three minutes … »Ach so, das noch vorweg«, sagt sie. »Sie geben bitte auf keinen Fall meine
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