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Muttertier @N Rabenmutter

Muttertier @N Rabenmutter

Titel: Muttertier @N Rabenmutter
Autoren: Nives Mestrovic , Sonja Liebsch
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vertraute Nähe von einst war verschwunden. Am nächsten Tag reiste sie ab. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Lange Zeit grübelte ich, ob es wahre Freundschaft überhaupt gibt, oder ob wir nur Zweckgemeinschaften bilden, die sich auflösen, wenn der Gemeinschaftszweck erreicht oder nicht mehr gegeben ist. Ein guter Freund hat einmal unseren Freundeskreis mit einer Lavalampe verglichen. Die Gruppe ist ständig im Wandel. Es bilden sich neue Formationen, andere Teile spalten sich ab. Ein schönes und wie ich finde passendes Bild.
    »Hier ist nämlich ein Artikel in der Rheinischen Post. Da geht es um einen Kindergarten und da steht: ›… sagt Hanna Duplancic, die ihre fünfjährige Tochter zum Kindergarten bringt‹«, unterbrach meine Mutter meine Gedanken.
    »Dann wird sie es wohl sein«, antwortete ich knapp.
    Ich wollte nicht über Hanna sprechen. An sie erinnert zu werden, bereitete mir Unbehagen. Gleichgültig war sie mir also nach all den Jahren immer noch nicht. Wie auch? Hanna ist ein Mensch, der wahrscheinlich niemandem gleichgültig ist. Man liebt sie oder man hasst sie. Vermutlich habe ich immer beides getan. Ich liebte sie und gleichzeitig ging sie mir unglaublich auf die Nerven. Solche emotionalen Dissonanzen hat neben Hanna bislang nur mein Ehemann in mir hervorrufen können.
     
    Der Gedanke an Hanna ließ mich an diesem Tag nicht mehr los. War sie wirklich wieder in Mönchengladbach und hatte eine fünfjährige Tochter? Wie sah die Tochter aus, und würde sie sich mit meinen Söhnen, die sechs und zweieinhalb waren, verstehen? Nachmittags besuchte ich Andrea, eine Freundin, die ich beim Geburtsvorbereitungskurs vor sechs Jahren kennengelernt hatte. Wenn man sich in so unvorteilhaften Posen gesehen hat, können einen die menschlichen Abgründe dahinter kaum noch schrecken, sodass diese Kurse eine wirklich gute Basis für langjährige Freundschaften bilden.
    »Meine Mutter hat mich heute gefragt, ob meine Schulfreundin Hanna wieder in Mönchengladbach ist. Sie war meine beste Freundin, aber seit meiner Hochzeit habe ich nichts mehr von ihr gehört. Und heute stand ihr Name in der Zeitung«, erzählte ich Andrea, während ich mich darauf konzentrierte, den Zucker so in den randvollen Latte macchiato einzurühren, dass er nicht überschwappte.
    »Was hat eure Freundschaft mit deiner Hochzeit zu tun? Ist sie nicht gekommen?«
    »Doch«, antwortete ich, den Blick nachdenklich auf mein Glas gerichtet. »Sie ist gekommen. Abends um acht, als ich ehrlich gesagt nicht mehr mit ihr gerechnet hatte. Weißt du, in unserer Freundschaft war es so, dass Hanna immer die laute Spontane und ich die leise Besonnene war. Wo immer wir hinkamen, Hanna hatte ihren Auftritt. Sie ist einfach sehr präsent und es ist unmöglich, sie zu ignorieren. Das war ok so. Ich habe darunter nicht gelitten und auch nicht in ihrem Schatten gestanden. Ich wollte nie der Mittelpunkt sein. Aber meine Hochzeit sollte doch mein Tag sein. Da wollte ich sehr wohl die Hauptperson sein. Und da hat sie es doch tatsächlich geschafft, sogar an diesem Tag ihren Solo-Auftritt zu haben, indem sie genau dann auftauchte, als alle ruhig beim Essen saßen und sie sich der gesamten Aufmerksamkeit sicher sein konnte.«
    »Und warum ist sie so spät gekommen?«
    »Das weiß ich nicht und das hat mich damals auch nicht interessiert … Jan, das ist Pauls Bobby-Car. Lass ihn los!«
    Ich versuchte, die beiden Kinder, die sich auf einem grünen Polizei-Bobby-Car ineinander verkeilt hatten, ohne Verletzungen voneinander zu trennen. Paul quiekte, Jan brüllte. Schließlich konnte ich beide mit einem Stück Schokoladenkuchen bestechen und verschaffte uns so für weitere fünf Minuten ungestörte Redezeit.
    »Aber es beschäftigt dich heute noch«, hinterfragte Andrea noch einmal das Verhältnis zu meiner ehemals besten Freundin.
    »Ja, schon.«
    »Dann googel sie doch mal. Vielleicht findest du sie ja.«
    »Hab ich schon. Ich habe sie bei XING gefunden«, gab ich nur ungern zu.
    »Ja, dann schreib ihr doch.«
    Ich wusste, dass ich Andrea meine innere Zerrissenheit nur schwer erklären konnte. Ich bin ein kompliziertes Wesen und obwohl ich stets versuche, alle Eventualitäten abzuwägen, neige ich nach all meinen Überlegungen doch zu spontanen Übersprungshandlungen, die rational nicht nachvollziehbar sind. So bin ich als Jugendliche einmal mit Hanna zu einer Karnevalsfeier gegangen. Auf dem Weg dorthin kamen mir plötzlich Zweifel, ob ich
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