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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
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eine Ringfahndung auslösen.« Das ist nicht witzig! Ich fange an zu weinen, vor Wut und vor Enttäuschung. »Stell dir doch mal vor, es wäre dein Paule?«, versuche ich einen neuen Anlauf, aber er lässt mich abtropfen: »Nun werd mal nicht hysterisch. Wenn
Maik verunglückt wäre, wüsstest du es schon längst.« Ich werde meine Gefühle für ihn überdenken müssen.
    Wieder und wieder schaue ich mir bei Google Maps die Strecke an, und mit Google Earth verschaffe ich mir ein Bild vom Straßenzustand auf der Insel: Die Straßen sind lange nicht so gut ausgebaut wie hier, da kann man schnell in den Graben gedrängt werden, mit einem Linkslenker sowieso. Oh, Himmel, was habe ich da zugelassen!
    Um 21 Uhr bin ich ganz sicher: Mein Sohn ist tot. Er hatte einen schweren Unfall, der Rettungswagen hat getrödelt und dann konnten sie nichts mehr tun. Mir wird speiübel bei der Vorstellung, und ich verspreche dem lieben Gott, mich nie mehr über Maiks seltsame Peilung und mangelnden Ehrgeiz aufzuregen oder mich in seine Angelegenheiten einzumischen. Ich biete Gott einen Pakt an: Wenn mein Kleiner doch noch heil ankommt, erkläre ich ihn für groß.
    Ich probiere mich mit Fernsehen abzulenken. Eine Tatort-Wiederholung. Nein, jetzt nur keine Leichen. Als ich weiterzappe, höre ich leise Musik und dazwischen eine vertraute Stimme. Patrick ist wieder da. Er ist bei Lysa auf dem Zimmer. Sie flüstern und kichern. Zwischendurch höre ich eindeutige Bettgeräusche. Ich zögere anzuklopfen. Ich möchte ihn unbedingt sehen, wissen, ob er jetzt wieder öfters kommt. Doch ich warte besser, bis sie beide rauskommen und setze mich auf die oberste Treppenstufe. Regungslos sitze ich da mit dem Rücken an die Wand gelehnt und lausche nach weiteren Informationen, die mir helfen könnten, die Situation einzuordnen. Aber sie sprechen zu leise. Durch das Oberlicht kann ich wahrnehmen, wie sich das Tageslicht verändert, immer schwächer wird und schließlich dunkel.

    Ich bin wohl eingeschlafen. Auf meinem Telefon ist es halb drei. Dann ist es in England halb zwei. Die Nachtfähre nach Dun Laoghaire geht um 2:40 Uhr englische Zeit, also in einer guten Stunde. Ich könnte dort anrufen und fragen, ob Maik an Bord gegangen ist. Bis dahin versuche ich es immer wieder auf seinem Handy. The person you have called is temporary not available.
    Ich werde noch wahnsinnig. Wo ist eigentlich Rolf? Typisch! Immer, wenn ich ihn brauche, ist er nicht da. Ich klopfe an Lysas
Tür und trete ein, ohne auf ein Zeichen zu warten. Patrick und Lysa liegen aneinandergekuschelt im Bett und schauen einen Film, in dem eine Säuglingsschwester zeigt, wie man ein Baby badet. Die beiden Kuschelhasen strahlen mich an und meine Tochter sagt: »Wir bekommen ein Kind.« Ohne meine Reaktion abzuwarten, plappert sie weiter. »Das ist gar kein Problem. Ich krieg’s erst nach dem Abi, und dann ziehen wir in eine Wohngemeinschaft, wo die anderen Studentinnen auch Babys haben. Da haben wir ein polnisches Au Pair angestellt, das sich ums Kind kümmert, wenn ich in der Vorlesung bin. Mama, wir freuen uns so riesig.« Ich will schreien, aber es geht nicht.
    Ich sehe Lysa, wie sie Tag und Nacht lernt und am Wochenende arbeiten geht, während der junge Vater das Kind im Wald spazieren fährt und schon mal vorsorglich Blätter zum Trocknen sammelt. »Hey, das gibt extra Studigeld«, sagt Patrick, der auch mal was sagen möchte. »Kind! Was tust du?« Lysa lacht und reicht mir ihre Hände und tanzt mit mir im Kreis. »Mama! Es wird ein Junge! Freu dich doch auch!«
    »Meine Kleine, du bist doch noch meine Kleine«, presse ich heraus. »Mama! Ich kann das!« Lysa sieht keine Schwierigkeiten. Sie ist so glücklich, dass Patrick wieder da ist, und alles andere schafft sie auch, wenn er nur bei ihr bleibt. Sie haben an alles gedacht, auch an gemeinsame Freizeit ohne Kind, die ihnen wichtig ist, damit sie auch mal an sich denken können. Eigentlich immer dann, wenn ihnen danach ist.

    Solch einen Stress, wie wir ihn hatten, das wollen sie nicht. Fußläufig zur Uni haben sie ein Kinderhaus ausfindig gemacht, in dem nicht polnische, aber tschechische Kindermädchen die Studentenbabys auf Wunsch rund um die Uhr betreuen. Die Kinderpflegerinnen haben Pädagogik studiert und eine Sprachprüfung nach dem europäischen Referenzrahmen auf Level B2 abgelegt. In Patricks und Lysas Leben wird sich kaum etwas ändern. Geld bekommen sie auch. Von uns, denn wir sind, so klärt mich meine Tochter auf, nach
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