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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
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im Internet jenseits des Castingtrubels die ersten intelligenten Stars heranwuchsen, die kaum älter als Maik und sehr selbstbewusst waren. Ihre Beliebtheit wurde mit Clicks demokratisch gemessen und Maik wurde durchaus ein kritischer Beobachter
    So entdeckte er mit 16 Jahren noch einen anderen Harry Potter. ColdMirror, eine 22-jährige Studentin, die mit der Persiflagesynchronisation Harry Potter und ein Stein bei Youtube auf sich aufmerksam machte. Sie schrieb im Vorspann: »Tatsächlich ist dieser Film total schwul und ganz schön behindert. Oder, um es politisch korrekter auszudrücken: Dieser Film praktiziert einen alternativen Lebensstil und hat besondere Bedürfnisse.«
    ColdMirror stürzte sich schamlos frech auf den Potter-Mythos und war das Einstiegsgeschenk für Maiks kritische Medienbetrachtung. Dann kam Klaas Heufer-Umlauf. Eigentlich ist der junge Mann ein Friseur und Maskenbildner aus Oldenburg, aber jetzt arbeitet er als Fernsehmoderator bei MTV. Er probiert aus, wie Twitter ohne Strom funktioniert. Er geht an öffentliche Plätze und zeigt Bilder von seinem Kätzchen und seinen Füßen, die er bei seinem letzten Thailand Urlaub fotografiert hat. Und er erzählt,
dass er gerade das After Shave gewechselt hat und dass er am Abend vorhat, die Gilmore Girls zu schauen. Er teilt sich mit und offenbart die Banalität der Information.
    Maik beschloss, sich nur noch auf das Wesentliche zu konzentrieren, und deshalb schaute er bis auf eine Serie gar nicht mehr fern. Nur die Politsatire South Park fand noch seine Gnade. Sie lief spät abends auf MTV und wurde zu seinem persönlichen Sandmännchen. Der Junge kugelte sich vor Lachen, wie die vier frühreifen Grundschüler heikle Gesellschaftsthemen aggressiv humorig angingen, und wusste plötzlich Bescheid über die Mohammed-Karikatur, den Oberscientologen Tom Cruise und die Klimaschutzsorgen von Al Gore. Ich hörte deftige Fäkalausdrücke der TV-Großmäuler und überhörte den Anspruch der Serie. Wie die Pokémon waren sie technisch rückwärtsgewandt, ganz bewusst simpel gezeichnet. Und sie wurden mit der uralten Legetrickmethode zum Leben erweckt, bei der jede Bewegung einzeln abfotografiert wird. Ich stellte meinem Sohn auch eine uralte Frage: »Muss das denn sein?« Er wusste nicht, was ich meinte. Zu später Abendstunde hallte die dreckige Sprache überlaut in mein Ohr. Ich konnte es noch schwerer ertragen als tagsüber, wenn ich mich besser ablenken konnte, und fühlte mich dabei wie eine alte Spießerin.
    Mir erschien Maik politisch ignorant. In der Schule interessierte ihn die Schülervertretung kein bisschen, den Namen des Bürgermeisters hatte er nicht parat und von der Grünen Jugend wusste er nicht einmal, dass es sie gab. Er mutete sich weder Spiegel noch Focus zu, und seine eigene Sprache kam mit 500 Wörtern aus. Mehr habe Adenauer auch nicht, behauptete sein Kontrahent Kurt Schumacher und meinte es abfällig. Erst nach dem Tod des Kanzlers wurde daraus eine herausragende rhetorische Qualität konstruiert. Die konnte ich bei meinem Sohn nicht erkennen. Für mich verfestigte sich der Eindruck, dass Gymnasiasten mit dem Deutschunterricht, der stets die Kreativität über die Grundlagen hob, nicht mehr viel deutsche Sprache brauchen um durchzukommen. Und ich ärgerte mich sehr darüber.
    Dabei stehen die Buddenbrooks immer noch in den Lehrplänen. Auf Thomas Manns frühen Roman über den Niedergang einer großbürgerlichen Familie der Biedermeierzeit möchten die Väter
der Rahmenrichtlinien auch im 21. Jahrhundert nicht verzichten. Die 700 Seiten sind Ferienhausaufgabe von Weltgeltung, die sich allerdings kaum ein Schüler vornimmt, und jeder Lehrer weiß das. Filmfassung und Internetquellen reichen, um Test und Arbeit gut zu bestehen. Solange niemand offen darüber spricht und den Lehrer zum Handeln zwingt, bleibt die Welt der neuen Intellektuellen in Ordnung; die Suche nach Alternativen zum schicken Monumentalwerk erledigt sich von allein.

    Aber die Generation Maik setzt sich durch einen überlegenen Umgang mit der Kommunikation im Internet von uns ab und sie folgt anderen Autoritäten. Mein Junge hatte kein Bedürfnis, mir mitzuteilen, wer ihn beeindruckt und wen er für schlau hält. Und weil seine Lehrer als immerwährende Totalverweigerer des realen Lebens nicht als Vorbilder taugen, es hier keinen Dorfpolizisten und auch keinen Bademeister mehr gibt, der einem Bengel im Zweifel die Ohren langziehen, musste ich davon ausgehen, dass ihm die
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