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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Autoren: Martina Rosenberg
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höre ihm schon nicht mehr zu. Diese Momente gehören meiner Mutter. Es sind die letzten, die wir gemeinsam haben werden. So sitze ich bei ihr am Bett, doch auch bei meinem Vater am Tisch. Er weint viel und setzt sich immer wieder erneut in Szene. Ob er das absichtlich macht oder einfach nur völlig erschöpft ist, werde ich nie erfahren.
    Die vergangenen Aktionen, mit denen er ganz offensichtlich versuchte, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, lassen vermuten, dass er hier das Gleiche bezweckt. Beim Essen rutscht er vom Stuhl, das Glas kann er nicht mehr zum Mund führen. All die netten Worte, die ich an ihn richte, kommen nicht an. Er hört sie gar nicht.
    Auf mir lastet ein riesengroßer Druck. Ich habe darauf gedrungen, meine Mutter sterben zu lassen! Und sie tut sich nicht leicht mit dem Sterben. Sie liegt in ihrem Bett, und ihr rasselnder Atem wird stündlich lauter.
    Irgendwann gehe ich nach Hause, am selben Abend fahre ich jedoch noch einmal bei ihr vorbei. Ich rechne fest damit, dass sie nicht bis zum Morgen überlebt. Einer meiner Brüder übernimmt die Wache. Ich wünsche ihm noch eine einigermaßen ruhige Nacht und gehe nach Hause.
    Als am nächsten Morgen das Telefon gegen zehn Uhr klingelt, fällt mir fast die Kaffeetasse aus der Hand. Jens und ich sehen uns schweigend an. Wir sind sicher, dass uns nun die Todesnachricht vermittelt wird.
    »Mutter geht es etwas besser«, teilt mir mein Bruder mit. »Die Schwester meint, wir könnten ihr jetzt doch wieder etwas zu trinken geben. Vielleicht ist sie noch nicht so weit.«
    Jetzt bin ich völlig aus dem Häuschen. Soll denn alles wieder von vorn beginnen? Sie stirbt gar nicht? Fast hysterisch renne ich zu meinem Auto und fahre sogleich in mein Elternhaus.
    »Spinnen jetzt alle?«, herrsche ich meinen Bruder an. »Wir sind doch hier nicht im Wunschkonzert. Sterben, nicht sterben …«
    Ich bin dieser Belastung nicht mehr gewachsen. Wie kann man so mit uns umgehen? Unsere Mutter wartet schon seit fünf langen Jahren darauf, endlich zu sterben. Wieso geht es jetzt nicht? Das ist zu viel für mich.
    Mein Bruder versucht mich zu beruhigen: »Wir wollen jetzt erst mal sehen, wie sich die Dinge im Laufe des Tages entwickeln.«
    Aber für mich steht fest: Den Weg, den wir eingeschlagen haben, gebe ich nicht auf. Nicht nach all diesen langen, elendigen Jahren für meine Mutter. Sie hat ein Recht darauf zu sterben!
    Wild entschlossen versuche ich, meine Brüder von meiner Meinung zu überzeugen. »Wir können doch nicht wieder anfangen, sie aufzupäppeln. Das macht doch alles keinen Sinn mehr! Und dann nächste Woche? Nächste Woche gehen wir wieder zum Sterben über oder was?«
    Meine Worte klingen hart. Das ist mir in dem Moment durchaus bewusst. Dennoch sagt mir mein gesunder Menschenverstand, dass hier etwas vollkommen schiefläuft. Warum die Schwester von der ambulanten Sterbehilfe plötzlich das Gefühl hat, dass unsere Mutter sich wieder erholen könnte, ist nicht nachvollziehbar. Es gibt für sie doch keine Perspektive mehr! Anscheinend ist der Hospizmitarbeiterin dies nicht klar.
    Am selben Abend kommt sie erneut vorbei und meint, es sei wohl nur ein kurzes Aufflammen gewesen, denn nun sehe alles wieder ganz anders aus. Ihrer Meinung nach sei der Sterbeprozess im Gange, und es werde nicht mehr lange dauern.
    Die letzte Nacht
    Wenn ich früher über das Sterben nachgedacht habe, dann war ich sicher, man macht die Augen zu und schläft ein. Ab und zu hörte man von Menschen, die im Krankenhaus lagen, und noch eine Zeit lang um ihr Leben gekämpft haben. Das ist jedoch nichts im Vergleich zum Sterbeprozess meiner Mutter. Der eigentliche Prozess des Sterbens begann bei ihr schon vor vielen Jahren. Sie hat einfach alles verloren, was ihre Persönlichkeit ausmachte. Jetzt liegt nur noch ihre Hülle da, ausgelaugt und ohne Kraft.
    Seit drei Tagen quält sich meine Mutter schon, sie ringt mit dem Tod. Die Nerven liegen blank. Mein Vater ist kaum mehr zu ertragen – seine depressiven Schübe wechseln sich mit aggressiven ab. Heute bin ich an der Reihe zu wachen. Am Abend packe ich meine Decke, mein Notebook und etwas zu lesen ein. Ich bin mir sicher, es wird eine lange Nacht. Ich gehe noch zu Lena und drücke ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange.
    »Schlaf gut, meine Süße!«, sage ich.
    »Mama, muss Oma heute sterben?«, fragt sie.
    »Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich. »Vielleicht … oder besser gesagt, ich hoffe es!«
    »Du bist gemein!«, schimpft meine
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