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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Autoren: Julia Malchow
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Knetmasse warten auf die kleinen Künstler. Alles so, wie ich es aus den schon vor Levis Geburt besichtigten Kitas in München kenne. Und ein bisschen besser. Heller, großzügiger, perfekter.
    Nachdem Levi ein paar Schokoladenkekse verspeist und sich an den Musikinstrumenten ausprobiert hat, steigen wir hoch in den zweiten Stock. Dort gibt es eine Babyecke, hatte uns eine der zwei Betreuerinnen empfohlen, die außer Keksebacken nicht viel zu tun haben. Neben uns ist nur noch ein elfjähriges Mädchen da. Und die zeigt bisher kein Interesse an meinem Sohn.
    Oben laufen wir auf eine Kinderteeecke zu: Tisch, kleine Hocker, Kindergeschirr, bunte chinesische Lampen. Alles perfekte Miniaturausgaben der Erwachsenenversionen. Und alles zum Gebrauch mit richtigem Tee gedacht. Daneben befindet sich eine Tischecke auf pinkem Teppich und mit rosafarbenen Kissen. In den die Sitzecke rahmenden Regalen hat jemand Kuchen, Besteck, Teller, Küchengeräte drapiert – alle aus Holz, mit Pink: pinke Griffe, pinke Kirschen. Einige Meter davon entfernt gibt es eine ähnliche Ecke auf blauem Teppich. In den Regalen warten Autos, Züge und Pistolen auf die Phantasie der kleinen Gäste. Ich setze den ungeduldig zappelnden Levi auf den Boden. Der krabbelt zielstrebig zur pinken Ecke und versinkt für die nächsten zwanzig Minuten in einem Kuchenbackspiel.
    Derart nach Geschlechterrollen getrennte Bereiche sind mir in den Münchner Kitas nicht aufgefallen. Ob hier Mädchen und Jungs getrennt voneinander spielen? Oder ob sie sich vermischen und nur unterschiedliche Räume für unterschiedliche Spiele angelegt wurden? Stolpere nur ich über dieses Klischee? Wurde es bewusst inszeniert? Oder anders: Schreckt eine pinke Küchenecke einen männlichen Nachwuchskoch nicht eher ab? Und eine blaue Werkzeugecke eine ambitionierte Nachwuchshandwerkerin?
    Die Babyecke ähnelt einer abschließbaren Miniaturturnhalle voller Plastikphantasiegestalten: weiche Matten auf dem kompletten Boden, Knallfarben, große Kulleraugen, irgendwie spacig für meine europäischen Augen. Pinke noppige Bälle von der doppelten Größe eines Fußballes kann Levi mühelos durch die Gegend werfen, da sie nichts wiegen. Es gibt nichts, woran Levi sich stoßen oder verletzen könnte. Und abhauen kann er auch nicht.
    Irgendwann schlendern wir weiter und landen im Videoraum: zwei riesige Plasmafernseher an der Wand, die jedem Technikfreak Tränen des Neides in die Augen treiben würden, ordentlich aufgereihte Stuhlreihen davor, ein Regal voller CD s und DVD s dahinter. Mehrere Fernbedienungen. »13 Tugenden zum Mitsingen und Auswendiglernen« steht auf einer CD , auf Englisch und Chinesisch.
    In der Verkleide-dich-Ecke hängt eine Weltkarte an der Wand, und mein tagesschaugeprägtes Bild von der Welt gerät ins Wanken: China ist in der Mitte angeordnet, mit zwei kleinen Schlappohren rechts und links – rechtes Ohr: Nord- und Südamerika, linkes Ohr: Europa mit Afrika. Ich brauche eine Weile, um mich orientieren zu können. Dann muss ich grinsen und mache ein Foto von dieser anderen Perspektive auf unseren Planeten. Genau darum geht es mir.
    Unter der Weltkarte der anderen Art sind kindlich gemalte Paare in traditioneller Bekleidung abgebildet: Chinesen mit Reishut und roten Seidengewändern. Holländer mit gelbem Haar, Holzschuhen und blau-weiß gestreifter Bekleidung. Amerikanische Cowboys und -girls. Mittelalterlich anmutende Italiener. Peruaner mit Panflöte, wie sie auch in unseren Einkaufsstraßen sitzen und musizieren. Keine Deutschen. Leider. An der Wand daneben eine Kleiderstange mit den passenden Kostümen. Levi greift sich den chinesischen Hut und fängt an, ihn auf Bissfestigkeit zu untersuchen.
    Nach seinen interkulturellen Spielerfahrungen mit sibirischen und mongolischen Kindern hätte ich Levi zu gerne mit chinesischen Kindern spielen sehen. Ob bei allen kulturellen Unterschieden zwischen den Erwachsenenwelten die Baby- und Kleinkinderwelt eine Brücke zwischen den Nationen schlagen kann? Und wenn ja, ab welchem Alter fangen die Unterschiede an zu greifen? Oder: Wann beginnt die Offenheit abzunehmen? Wann fangen Gewohnheiten an, unser Denken und Fühlen zu prägen? Ab wann beginnen unsere Routinen uns Angst zu machen vor den Routinen anderer? Wann fängt es an, dass man sich nicht als Mensch, sondern als Vertreter einer Gesellschaft begegnet? Und warum ist es zu Hause oft schwieriger als auf Reisen, aus diesem Wahrnehmungsgefängnis auszubrechen?
    Kaum haben wir
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