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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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flüchtig durch. Keiner für mich. Ein paar offiziell
aussehende für meine Schwester und ein paar für Mutter, die alle den gleichen
roten Stempel trugen. Irgendeine Sonderzustellung. Solange Mutter unpässlich
war, oblag die Familienpost Bel. Ich legte die Briefe zur Seite und wandte
meine Gedanken wieder dem Verbleib von Mrs P zu. Ich hatte sie seit dem Lunch
nicht mehr gesehen und wurde allmählich ganz schwach vor Hunger. Was ich zu
Frank gesagt hatte, war keine Übertreibung gewesen: Ihr gutmütiges Wesen und
ihre exzellente Küche hatten diesen Haushalt durch einige schwierige Phasen
gesteuert. In letzter' Zeit jedoch schien die gewohnte Hingabe gelitten zu
haben. Ihre Arbeitszeiten waren unberechenbar geworden, und sie wirkte abwesend
- als wären ihre Gedanken woanders. Ich hatte Bel noch nichts gesagt, aber ich
fing doch an, mir ein klein wenig Sorgen zu machen. Ich fragte mich, ob sie
etwas bedrückte oder, noch schlimmer, ob ganz einfach das Ende ihrer nützlichen
Tage gekommen und sie reif für das Gnadenbrot war.
    Als Plus
konnte ich verbuchen, dass mein Kater sich inzwischen verflüchtigt hatte. Ich
ging also in den Keller, um eine Flasche fürs Abendessen auszusuchen. Ich war
gern im Keller. Die kühle, dünne Luft war wie eine Decke, die sich angenehm
feucht an den Körper schmiegte. Und im schwachen Licht glänzten karmesinrot,
malven- und burgunderfarben die Flaschen, Regenbögen innerhalb von Regenbögen,
eine der wenigen ungetrübten Freuden im Leben meines Vaters. Zugegeben, in
jüngster Zeit hatten sich die Reihen etwas gelichtet. Es waren recht ausgelassene
Monate gewesen - die alte Gang mal wieder komplett versammelt, fabelhafte,
törichte Partys, ineinander übergehend wie der flatterhafte, atemlose Raum
zwischen Nacht und Tag. Rückblickend würde ich sagen, dass diese Zeit all die
Merkmale eines letzten Versuchs aufwies. Ich fragte mich, ob ich der Einzige gewesen
war, dem das nicht aufgefallen war.
    Nicht dass
es von Belang war - nichts hatte irgendwelche Folgen gehabt, weder die wilden
Feste noch der Schnaps, noch die Mädchen mit den Pfauenfedern im Haar. Ich war
hinter Patsy Ole her gewesen. Patsy Ole war exquisit und bezaubernd und kümmerte
sich einen Scheiß. Und wie um alle Mädchen, die exquisit waren und bezaubernd
und sich einen Scheiß kümmerten, scharwenzelten immer jede Menge Kerle um sie
herum. Zudem war sie eins von den Mädchen, die an dem Streit und dem Hass, den
sie unter ihren Freiern hervorrief, mindestens genauso viel Spaß hatte wie an
den Beziehungen selbst, und als solche war sie für zwei oder mehr Liebschaften
parallel jederzeit zugänglich. Und doch, an gewissen Abenden hatte es den
Anschein gehabt, als wären wir auf dem Sprung gewesen zu etwas ganz ...
    Ich
schüttelte mich und war wieder da. Sie war jetzt in Indien; und wir beide waren
wahrscheinlich so besser dran. Ich wählte eine Flasche aus und ging nach oben
in die Küche. Man konnte leicht im Keller hängen bleiben. Wenn ich nicht
aufpasste, geisterte ich Stunden da unten herum und ließ mich von Spinnweben
einwickeln.
    Inzwischen
tat mir richtiggehend der Magen weh. Und Mrs P war immer noch unerlaubt
entfernt. Das war lächerlich. Niemand konnte von mir erwarten, dass ich die
ganze Nacht wartete. Im Fernsehen lief später ein Gene-Tierney-Double-Feature,
auf das ich mich schon die ganze Woche freute. Ich beschloss, Mrs P eine
Lektion zu erteilen und mir selbst was zu kochen.
    Die
Speisekammer bereitete zunächst einiges Kopfzerbrechen. Fisch musste man
ausnehmen, Fleisch schneiden, Gemüse schälen, schnipseln, sautieren. Doch dann
stieß ich zufällig auf eine Büchse Bohnen. Bohnen, sagte ich mir, da kann
nichts schief gehen. Zusammen mit einer Tasse voll Reis schüttete ich sie in
einen Topf. Ich wartete, bis sich über dem Wasser etwas Dampf zusammenbraute,
schüttete die Flüssigkeit ab, kippte Bohnen und Reis auf einen Teller und trug
mein Mahl ins Speisezimmer. Ich war mächtig stolz auf mich. Wenn man schnell aß
und immer wieder mit Wein nachspülte, war es ganz genießbar. Ich dinierte
allein, die melancholisch tickende Uhr und eine Motte, die stimmungsvoll um
den Schirm der neben dem langen Mahagonitisch stehenden Stehlampe
herumflatterte, wachten über mich.
    Danach
mixte ich mir einen Gimlet und ging zurück in den Salon zu meiner
wiederhergestellten Chaiselongue.
    Der erste
Film des Double Features war der unbedeutende Heaven Can
Wait, in dem Gene Tierney nur eine kleine Rolle als Don
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