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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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stöhnte
auf, nahm eine Schachtel mit Verbandsmaterial aus einer Schublade und ging
wieder.
    Vielleicht
mag er lieber Lapsang Souchong, überlegte ich, folgte dann aber doch meiner
ersten Eingebung. Ich trug das Tablett mit dem Tee und einem Teller von Mrs Ps
vom Vorabend übrig gebliebenen Amuses gueules in den Salon. Unser Gast war
entzückt und schaufelte sie sich beidhändig in den Rachen. Der Tee war
allerdings weniger zu seiner Zufriedenheit. »Gibt's keine Milch?«, fragte er.
    Ich
verdrehte die Augen in Richtung Bel, die mich sotto voce mit weiteren Verwünschungen bedachte und aus dem Zimmer stürmte. Jetzt
waren wir allein. Ich spürte, dass er mich ansah, und ich wusste, dass der
Schürhaken in seiner Reichweite lag. Ich starrte auf den Fernsehschirm. Wichtig
war jetzt, keine Angst zu zeigen. Er brach das lange, gespannte Schweigen und
sagte: »Interessierst du dich für Fußball?«
    »Nein«,
sagte ich.
    »Oh.« Er
räusperte sich. »Tja ... und ihr zwei lebt hier ganz allein?« In seinem starken
Dubliner Dialekt klang alles, was er sagte, irgendwie bedrohlich.
    »Hmm?«,
sagte ich. Bedrohung hin oder her, die Hunde im Fernseher zogen mich in ihren
Bann. Obwohl sie aussahen, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu fressen
bekommen, rasten sie mit Vollgas um die Bahn. Der fröhliche kleine Elektrohase
hielt sie ganz schön zum Narren. Frank wiederholte seine Frage.
    »Ja, ja,
im Moment nur wir beide. Und Mrs P natürlich. Vater ist vor ein paar Jahren
gestorben.« Ich deutete auf das Foto an der Wand, das ihn mit dieser Westwood
bei irgendeiner Modeveranstaltung in London zeigte. »Und Mutter ist in letzter
Zeit nicht ganz auf dem Damm. Die Nerven. Aber sie ist zäh, jammert nie.«
    »Oh«,
sagte Frank. Sein Gehirn kaute das Gehörte durch, dann verzerrte sich sein Mund
zu einem lüsternen Grinsen. »Wenn eure Alten nicht da sind, dann könnt ihr ja
richtig auf die Kacke hauen.«
    Ich
verstand nicht ganz, was er damit meinte, aber es hörte sich an, als spielte er
auf etwas Verderbtes an. »Was?«, sagte ich. »Na ja, Feste und so. Partys,
Remmidemmi, so was eben.«
    »Oh ja,
sicher.« Ich entspannte mich wieder. »Klar haben wir ab und zu eine Party. Das
heißt, ich. Bel hängt meistens mit ihren öden Schauspielerfreunden rum. Wenn
ich es mir recht überlege, war es in letzter Zeit ziemlich ruhig. Aber stimmt
schon, manchmal ist richtig was los. Letzten April zum Beispiel, da hat eine
gute Freundin von mir, Patsy Ole, die hat ... Vielleicht kennst du sie? Jeder
kennt Patsy...«
    Er schaute
mich ausdruckslos an.
    »Egal, sie
ist sowieso nicht in der Stadt«, sagte ich und ärgerte mich über das leichte
Zittern in meiner Stimme. »Sie ist auf großer Tour, Indien und so. Wo war ich?
Ah, richtig, also die Nacht damals, ein wahres Schlachtfest. Da war dieser Typ,
Pongo McGurks, der hat...« Ich beugte mich verschwörerisch vor. »Also, der
taucht Schlag Mitternacht auf und schleppt einen ganzen
Hirsch an. Geklaut, aus dem Guinness-Anwesen oben in den Bergen.
Und wir...« Ich hörte auf zu reden. Sein verständnisloser Blick ließ mich zu
dem Schluss kommen, dass es keinen Sinn hatte, die Erzählung dieser Ankedote
fortzusetzen. Wir widmeten unsere Aufmerksamkeit wieder den Windhunden und
deren Hatz auf die kleine unverdauliche Beute.
    »Und wer
ist Mrs P?«, fragte er plötzlich. »Deine Tante oder so?«
    »Mrs P?
Nein, nein. Sie ist die Haushaltshilfe. Aus Bosnien. Oder aus Serbien? Egal,
eine echte Perle. Wie ich immer zu Bel sage: Wenn dieser ganze Schlamassel da
unten im Balkan irgendwas Gutes hat, dann, dass man endlich wieder erstklassiges
Personal bekommt...« Die Worte erstarben mir auf den Lippen, und erneut verlor
ich mich im Blick dieser reglosen Augen, einer Art schwarzem Loch - so kam mir
der Bursche vor. Ich wurde wieder unruhiger. Wo war eigentlich Bel ? Was fiel
ihr ein, mich der Willfährigkeit dieses Primaten zu überlassen? Wollte sie,
dass man mich in Stücke riss und in den Kamin stopfte?
    »Entschuldige
mich bitte einen Augenblick«, sagte ich, stand auf und ging hinaus. Ich fand
sie schließlich in ihrem Zimmer, wo sie mit gerunzelter Stirn vor ihrem
Schuhregal stand.
    »Herrgott,
Charles, kein Mensch stopft dich in irgendeinen Kamin«, sagte sie. »Ich bin in
einer Minute wieder unten. Ich zieh mir nur was anderes an, wenn du nichts
dagegen hast?«
    »Ich hab
etwas dagegen«, sagte ich. »Und zwar sehr viel. Ich hab gedacht, du holst ihm
nur ein bisschen Milch.«
    »Charles.« Bel
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