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Muetter ohne Liebe

Muetter ohne Liebe

Titel: Muetter ohne Liebe
Autoren: Gaby Gschwend
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Entwicklung wird deshalb eine ganz neue Aufmerksamkeit geschenkt. Das gesundheitliche Wohlergehen der Kinder wird zum Hauptgegenstand elterlicher Besorgnis. Die Kinderheilkunde entsteht und die Mediziner widmen sich der Erforschung des kindlichen Körpers. Sie sind die ersten Pädagogen, die die Mütter ausbilden und erziehen, wie für das körperliche Wohl des Kindes zu sorgen ist. Kinder sollen nun auch nicht mehr «fremden» Verwandten oder professionellen Erziehern übergeben werden, sondern individuell unter Aufsicht der Mutter bleiben. Die liebende Mutter darf die Pflege und Aufsicht des Kindes nicht (mehr) delegieren.
    Die neue Mutter
    Die neue (bürgerliche) Mutter ist die Mutter im Heim und am Herd. Ihre Aufgaben und Pflichten liegen in Haushalt und Kinderpflege, der Mann hat die seinen in der Arbeitswelt. Erstmals wird nun auch der «Geschlechtscharakter» der Frau, dessen Hauptmerkmal die «Mütterlichkeit» sei, beschrieben und definiert. Die wahre Berufung und auch das wahre Bedürfnis der Frau sei es, so heißt es nun, für das Wohlergehen von Männern und Kindern zu sorgen. Die Mutter wird zur idealisierten Figur, die heimische Geborgenheit und «Nestwärme» in einer unpersönlichen, rücksichtslosen (Arbeits-)Welt vermittelt. Ihre Mutterliebe besteht in Selbstlosigkeit, Aufopferung und Pflichterfüllung.
    Damit beginnt eine Entwicklung, in der ein Gefühl (Liebe) mit bestimmten Verhaltensnormen, einem Kodex, einem «Regelwerk» der Mutterliebe verknüpft wird. Die Pflicht der Mutter liegt in erster Linie in der körperlichen Versorgung des Kindes, zumindest der Beteiligung daran, und der Verantwortung für sein gesundheitliches Wohlergehen. Allerdings ist der mütterliche Pflichtenkatalog bei weitem noch nicht so umfassend, wie er es dann ab Mitte des 20. Jahrhunderts wird: Unter Erziehung werden zu der Zeit und noch bis in die 1950er Jahre hinein vor allem Disziplinierungsmaßnahmen und Erziehung zum Gehorsam verstanden. Zärtliche Zuwendungen, die für uns heute selbstverständlicher Teil der Mutterliebe sind, werden als Schwäche angesehen und vermieden. So heißt es im damals berühmten Kodex der Kinderbildung von Johann Michael Sailer: «[…] so soll der Kodex der Kinderbildung eigentlich nur zwei Gebote enthalten: das erste: Sei gehorsam! Das zweite, dem ersten gleich: Sei offen, aufrichtig, lüge nicht» (zit. n. Grisebach 1995, S. 33)
    Außerhalb der bürgerlichen Familie konnte sich jedoch das Idealbild der «neuen Mutter» lange Zeit nicht durchsetzen. Für Arbeiterfrauen war es ohnehin nicht realistisch und adlige Frauen hatten kein großes Interesse am neuen Mütterlichkeitsideal. Sie hatten bereits eine unangefochtene Position und behielten lieber ihren Lebensstil und ihre intellektuellen, künstlerischen und gesellschaftlichen Interessen bei, als sich intensiv der Betreuung ihrer Kinder zu widmen. Die «neue Mütterlichkeit» ließ sie keine Vorteile erwarten. Anders sah es für die bürgerlichen Frauen mit ihrem eingeschränkten Macht- und Tätigkeitsbereich aus. Sie nahmen die neue Verantwortung mit Begeisterung auf, denn sie eröffnete ihnen neue Perspektiven. Ihnen versprach das neue Mutterbild einen (scheinbaren) Fortschritt und eine Aufwertung ihrer Person. Sie sollten über einen eigenen, dem des Mannes gleichwertigen Machtbereich verfügen, in dem sie autonom tätig sein konnten. Das war neu, denn die frühere Hausgemeinschaft stand unter der Herrschaft des Patriarchen, des Mannes. In Aussicht gestellt wurde ihnen Anerkennung und Hochachtung, Gleichheit und Ebenbürtigkeit ihrer Aufgaben und Pflichten mit denen des Mannes sowie ein großer Einfluss auf das Volkswohl. Versprochen wurden Glück und persönliche Erfüllung im ungehinderten Ausleben der «weiblichen Natur». Gleichzeitig wurde den Müttern, die diese Facette ihrer weiblichen Natur nicht dermaßen intensiv ausleben wollten, hemmungslos gedroht: «Wehe dem Mutterherzen, welchem die Vollziehung dieser Pflichten nicht süss, nicht leicht wird […] Liebe und Sitte und wahre Kindesliebe sind das Element des Weibes! Und jede Pflichterfüllung trägt ihren Lohn, wie jede Pflichtversäumnis ihre Strafe in sich selbst», so ließ es der Arzt F. Ammon im Jahre 1851 die Frauen deutlich wissen (Schütze 1991, S. 30f.).
    1.1.3  Das 20. Jahrhundert: Psychologisierung der Mutter-Kind-Beziehung
    Die «gute Mutter» des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte die Aufgabe, ihre Kinder körperlich richtig zu versorgen und sie zu
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