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Muetter ohne Liebe

Muetter ohne Liebe

Titel: Muetter ohne Liebe
Autoren: Gaby Gschwend
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Pflicht, Gehorsam, Ordnung und Disziplin zu erziehen. Auf die Spitze getrieben wurde der Mutterkult im Nationalsozialismus, als die Mütterlichkeitsideologie zum Repertoire staatlicher Propaganda gehörte. Die Mutter sollte den «Familienhort des Volkes» darstellen, wobei es hier mehr um Quantität als um Qualität ging. Das Vaterland brauchte Soldaten und wollte die «Rasse fortpflanzen». Als Anreiz für die «deutsche Mutter» wurde das «Mutterverdienstkreuz» eingeführt, das Frauen, die mehr als vier Kinder geboren hatten, in Bronze verliehen wurde und nach dem achten Kind in Gold.
    Ab Mitte des 20. Jahrhunderts erweiterte sich der Pflichtenkatalog der Mutterliebe beträchtlich, vor allem durch die Psychologisierung der Mutter-Kind-Beziehung. Forschungen und Literatur zur Entwicklung der kindlichen Psyche boomten, vor allem in den USA. Neben den Ärzten waren es nun auch Pädagogen und Psychologen, die die Szene der Mütterlichkeit betraten und den Müttern Erziehungsregeln und Handlungsanweisungen mit auf den Weg gaben. Die Verantwortung der Mutter eskalierte um eine weitere Stufe, denn nun wurden nicht mehr nur körperlich gesunde und gehorsame, sondern auch seelisch ausgeglichene, «glückliche» Kinder gefordert. Dabei wurde der Mutter die absolute Macht über das Wohlergehen und die seelische Gesundheit der Kinder verliehen. Der Vater hatte ausdrücklich keine Bedeutung, insbesondere nicht für das Kleinkind. In einer nächsten Phase kam als weiterer Anspruch die kognitive Förderung des Kindes hinzu. Mutterliebe sollte sich nun neben optimaler körperlicher Versorgung, gesellschaftlich angemessener Erziehung und emotionaler Zuwendung zusätzlich an der intellektuellen Stimulation des Kindes beweisen. So brachte es das Buch «Teach your baby to read» des Amerikaners Glenn Dorman bereits 1965 zum Bestseller.
    Im Deutschland der Nachkriegszeit hingegen, in den 1950er und 1960er Jahren, waren affektive Zuwendung und kognitive Stimulierung (noch) kein Qualitätsmerkmal der Mutterliebe. Bedingt durch den Krieg und die Gefangenschaft der Männer hatten die Frauen an Selbständigkeit und auch an Autorität in der Familie gewonnen. Nun sollten die alten Rollen und Positionen innerhalb von Familie und Gesellschaft wieder eingenommen und zwischen der Sach- und Wirkwelt des Mannes und der Hege- und Pflegewelt der Frau wieder sauber getrennt werden. Erneut wurde auf den «Geschlechtcharakter» der Frau verwiesen. Sie sollte ihr «weibliches Wesen» bewahren, das sich nur in Heim und Häuslichkeit, nicht aber in der unpersönlichen Arbeitswelt entfalten könne. Eine langjährige Erwerbsarbeit, besonders in nicht «frauengemäßen» Berufen, führe zu einer Einbuße an (der in allen Frauen angelegten) Mütterlichkeit und zu einer Vernachlässigung und Schädigung des Kindes. Unterschieden wurde nun zwischen der «mütterlichen» Frau, deren Interessenhorizont beim Kind beginnt und beim Kind endet, und der «intellektuellen», «männlich identifizierten» Frau, die zu «normaler weiblicher Liebe» unfähig ist.
    Ende der 1960er und in den 1970er Jahren wurde dann die mütter liche Erwerbstätigkeit allmählich milder beurteilt, denn deren vermeintliche Schädlichkeit für das Wohl des Kindes bestätigte sich in wissenschaft lichen Untersuchungen nicht. Vielmehr schien es entscheidender zu sein, ob das Kind eine liebevolle und akzeptierende Zuwendung erhält oder eine vernachlässigende oder feindselige Haltung ihm gegenüber erfährt. Das Kind sollte nun aber auch diesseits des Atlantik, das ist die neue Norm, sozial und kognitiv kompetent sein, angstfrei, lebhaft und glücklich. Anderes sei mütterlichem Unvermögen und Versagen anzulasten.
    So ist der Anspruch heutiger Mütter, ihre Kinder körperlich, emotional und kognitiv optimal zu fördern, groß und die Liste potenzieller mütterlicher Verfehlungen entsprechend lang. Mütter spüren einen enormen psychischen Druck, übersteigerte Erwartungen, Versagensängste und große Schuldgefühle, die sich auf die Mutter-Kind-Beziehung sicherlich nicht positiv auswirken. In den 1980er Jahren, im Zuge der neuen Frauenbewegung, werden erstmals die Empfindungen und Bedürfnisse von Müttern, die vorher eigentlich niemanden interessierten, thematisiert. Dabei wird aber nicht nur über Mutterglück und die damit verbundene emotionale Bereicherung gesprochen, zutage treten auch die Schattenseiten der Mutterschaft, die negativen und tabuisierten Aspekte der mütterlichen
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