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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
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bestimmten Sommer mehrmals getroffen, und seitdem hatte er den beiden Brüdern jedes Jahr eine Weihnachtskarte geschickt. Der Major ergriff seine Hand und schüttelte in wortloser Dankbarkeit den Kopf. Getrübt wurde die Wiedersehensfreude nur durch Jones’ zweite Ehefrau, die weder er selbst noch Bertie je kennengelernt hatten und die herzzerreißend in ein riesiges Taschentuch schluchzte.
    »Nun hör schon auf, Lizzy«, sagte Jones. »Entschuldige, aber so ist sie nun mal.«
    »Tut mir wirklich leid«, wimmerte Lizzy und schneuzte sich. »Bei Hochzeiten passiert mir das auch immer.« Dem Major machte es nichts aus. Immerhin war sie gekommen. Ganz im Gegensatz zu Roger.

[home]
    Zweites Kapitel
    B erties Haus – der Major ermahnte sich dazu, es von nun an als Marjories Haus zu betrachten – war ein kastenförmiges Ding mit versetzten Wohnebenen, dem Marjorie den Anschein einer spanischen Villa zu verleihen versucht hatte. Eine klobige Ziegelpergola und ein gusseisernes Dachterrassengitter krönten die angebaute Doppelgarage. Das Panoramafenster im ausgebauten Speicher erinnerte mit dem gemauerten Bogen an das zwinkernde Auge einer Flamencotänzerin. Der Vorgarten bestand hauptsächlich aus einer Kiesauffahrt von der Größe eines öffentlichen Parkplatzes. Die Autos hielten in Zweierreihen rings um einen zierlichen Kupferspringbrunnen in Form eines sehr dünnen nackten Mädchens.
    Jetzt, am späten Nachmittag, wurde es kühl. Vom Meer her quollen Wolken heran, aber oben im zweiten Stock hatte Marjorie die Tür, die vom gefliesten Wohnzimmer auf die Dachterrasse führte, noch offen gelassen. Der Major blieb so weit hinten im Raum wie nur möglich und versuchte, sich mit dem lauwarmen Tee zu wärmen, der in kleinen Plastiktassen gereicht wurde. Marjories Vorstellung von »nichts Aufwendigem« war ein riesiges, ausschließlich auf Papptellern serviertes Festmahl (Eiersalat, Lasagne, Coq au vin). Die Gäste balancierten ihre durchhängenden Teller auf den flachen Händen, und die Becher und Teetassen aus Plastik fanden willkürliche Plätze auf den Fensterbrettern und dem großen Fernseher.
    Als der Major bemerkte, dass am anderen Ende des Zimmers Unruhe aufkam, ging er hin und sah Roger, der gerade von Marjorie umarmt wurde. Beim Anblick seines großen, dunkelhaarigen Sohnes tat sein Herz einen Sprung. Er war also doch noch gekommen.
    Roger entschuldigte sich wortreich für die Verspätung und versprach Marjorie und Jemima feierlich, ihnen bei der Auswahl eines Grabsteins für Onkel Bertie behilflich zu sein. Charmant und lässig wirkte er in dem teuren dunklen Anzug mit der unangemessen bunten Krawatte und den schmalen, auf Hochglanz polierten Schuhen, deren Eleganz keinen anderen Schluss zuließ, als dass sie aus Italien stammten. London hatte ihn zu fast kontinentaleuropäischer Weltgewandtheit zurechtgeschliffen. Der Major bemühte sich, dies nicht zu missbilligen.
    »Hör mal, Dad, Jemima und ich haben über Onkel Berties Flinte gesprochen«, sagte Roger, als sich die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch auf einem harten Ledersofa ergab. Er zupfte an seinem Revers und strich die Kniepartien seiner Hose glatt.
    »Ja, ich wollte mit Marjorie darüber reden. Aber jetzt ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt.« Der Major hatte die Sache mit dem Gewehr nicht vergessen, hielt sie an diesem Tag jedoch nicht für wichtig.
    »Über den Wert sind sich die beiden völlig im Klaren. Jemima weiß da ziemlich gut Bescheid.«
    »Es geht dabei selbstverständlich nicht um Geld«, sagte der Major streng. »Unser Vater hat seinen Wunsch nach einer Zusammenführung der beiden Flinten klar geäußert. Sie sind Familienerbstücke, väterliches Erbe.«
    »Jemima ist sehr dafür, dass die beiden Waffen wieder zusammenkommen«, erklärte Roger. »Allerdings müssen sie wahrscheinlich erst mal restauriert werden.«
    »Meine ist in einem tadellosen Zustand«, entgegnete der Major. »Bertie wird sich mit seiner nicht so viel Zeit genommen haben wie ich mir mit meiner. Er hatte es nicht mit der Jagd.«
    »Wie auch immer. Jedenfalls sagt Jemima, dass die Marktsituation im Augenblick ganz ausgezeichnet ist. Churchill-Fabrikate von dieser Qualität sind gesucht wie nie. Die Amerikaner tragen sich schon in Wartelisten ein.« Der Major spürte eine leichte Verhärtung seiner Wangenmuskulatur. Er ahnte bereits den bevorstehenden Schlag, und sein angedeutetes Lächeln wurde starr. »Deshalb halten es Jemima und ich für das Vernünftigste, sie
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