Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
Vom Netzwerk:
haben, dass ich mit Ihnen nach Hause fahre …«
    »Nein, nein, Sie müssen mit Ihrem Sohn fahren!«
    »Es tut mir unendlich leid«, sagte der Major. »Er hat sich offenbar eine Freundin zugelegt, und die beiden sind auf der Suche nach einem Wochenendhaus.«
    »Ach so.« Sie kapierte sofort. »Ein Wochenendhaus in Ihrer Nähe? Das wird bestimmt wunderschön.«
    »Ich werde den beiden dabei irgendwie behilflich sein müssen«, sagte er wie zu sich selbst. Er hob den Blick. »Wollen Sie wirklich nicht auf einen Tee mit hineinkommen?«
    »Nein, vielen Dank. Sie genießen jetzt das Zusammensein mit Ihrer Familie, und ich fahre zurück.«
    »Ich stehe sehr in Ihrer Schuld«, sagte der Major. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken für Ihre freundliche Hilfe.«
    »Keine Ursache, ich bitte Sie!« Sie verbeugte sich leicht, stieg in ihr Auto und wendete rückwärts in einem so engen Kreis, dass der Kies in hohem Bogen aufflog. Der Major wollte ihr nachwinken, empfand es aber als unehrlich und hielt mitten in der Bewegung inne. Mrs. Ali warf keinen Blick zurück.
    Während das kleine blaue Auto losfuhr, musste er sich zusammenreißen, um nicht hinterherzulaufen. Er hatte sich an die bevorstehende Heimfahrt mit Mrs. Ali geklammert, als wäre sie ein Stück Kohle in seiner Hand, das ihn im dunklen Menschengewühl wärmte. Am Tor bremste der Honda, und wieder spritzte der Kies, als Mrs. Ali das Auto abrupt zur Seite steuern musste, um den ausladenden ovalen Scheinwerfern eines großen schwarzen Wagens auszuweichen, der, ohne zu verlangsamen, stur die Auffahrt hinauffuhr und genau an der Stelle vor der Haustür stehen blieb, die die anderen Gäste aus Höflichkeit frei gelassen hatten.
    Der Major stapfte den ansteigenden Kiesweg zurück und erreichte den schwarzen Wagen etwas außer Atem genau in dem Moment, als die Fahrerin einen Lippenstift in die silberne Hülse zurücksteckte und die Autotür öffnete. Eher aus Reflex denn aus freiem Willen hielt er ihr die Tür auf. Sie wirkte überrascht, lächelte ihm dann jedoch zu, während sie ihre nackten, gebräunten Beine aus dem engen Fußraum des mit champagnerfarbenem Leder bezogenen Fahrersitzes befreite.
    »Also, die Nummer bring ich jetzt nicht, dass ich Sie für den Butler halte, und in Wirklichkeit sind Sie Lord Soundso.« Sie strich den schlichten schwarzen Rock glatt, der aus teurem Stoff, aber von erstaunlicher Kürze war. Dazu trug sie eine taillierte schwarze Jacke mit nichts darunter – zumindest war an ihrem Dekolleté, das sich wegen ihrer Körpergröße und der schwindelerregend hohen Absätze fast auf Augenhöhe des Majors befand, kein Oberteil darunter zu entdecken.
    »Mein Name ist Pettigrew.« Er hatte keine Lust, mehr preiszugeben, solange es nicht unbedingt notwendig war. Im Augenblick hatte er noch damit zu tun, den Ansturm ihrer amerikanischen Vokale und das Aufblitzen ihrer unnatürlich weißen Zähne zu verarbeiten.
    »Na, dann bin ich hier ja schon mal richtig«, sagte sie. »Ich bin Sandy Dunn, eine Freundin von Roger Pettigrew.« Der Major spielte mit dem Gedanken, Rogers Anwesenheit zu leugnen.
    »Ich glaube, er unterhält sich gerade mit seiner Tante«, sagte er und schaute über die Schulter hinweg in die Diele hinter der offen stehenden Haustür, als könnte er die unsichtbare Gästeschar im oberen Stockwerk mit einem flüchtigen Blick erfassen. »Soll ich ihn holen?«
    »Ach, sagen Sie mir einfach die ungefähre Richtung.« Sie ging an ihm vorbei auf das Haus zu. »Rieche ich da etwa Lasagne? Ich habe einen Bärenhunger.«
    »Kommen Sie doch bitte herein«, sagte der Major.
    »Danke«, erwiderte sie über die Schulter hinweg. »War nett, Sie kennenzulernen, Mr. Pettigrew.«
    »Major, genau genommen …«, sagte der Major, aber sie war schon weg. Ihre Stiletto-Absätze klackerten über die giftgrün-weißen Bodenfliesen. Zurück blieb ein Hauch eines zitronigen Parfums. Nicht unangenehm, fand er, aber ihre erschreckenden Umgangsformen wog es nicht auf.
     
    Vor lauter Widerwillen gegen das Unvermeidliche, das ihn oben erwartete, drückte sich der Major eine Weile unten in der Diele herum. Gleich würde man ihn ganz formell mit dieser Amazone bekannt machen. Er konnte es nicht fassen, dass Roger sie hierher eingeladen hatte. Bestimmt würde sie seine anfängliche Verschlossenheit als eine Form von Schwachsinn werten. Die Amerikaner machten ja geradezu einen Sport daraus, sich gegenseitig öffentlich zu demütigen. In den amerikanischen Sitcoms,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher