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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
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Vornamens ließ den Major zusammenzucken.
    »Sandys Vater ist eine Größe in der Versicherungsbranche von Ohio«, erklärte Roger. »Und Emmeline, ihre Mutter, ist in leitender Position für das Newport Art Museum tätig.«
    »Wie schön für Miss Dunn«, entgegnete der Major.
    »Ach, das interessiert doch niemanden«, sagte Sandy und hakte sich bei Roger unter. »Aber ich möchte alles über deine Familie erfahren.«
    »Wir haben hier im Rathaus eine recht schöne Kunstgalerie«, warf Marjorie ein. »Überwiegend ortsansässige Künstler, wissen Sie. Aber es hängt da auch ein wunderschönes Gemälde von Bouguereau, ›Mädchen auf den Kreidefelsen‹. Sie sollten mal mit Ihrer Mutter hinfahren.«
    »Wohnen Sie in London?«, fragte der Major und wartete starr vor Sorge auf irgendeinen Hinweis darauf, dass die beiden bereits zusammenlebten.
    »Ich habe ein kleines Loft in Southwark«, sagte Sandy. »Gleich bei der Tate Modern.«
    »Eine riesige Wohnung!«, korrigierte Roger. Er war aufgeregt wie ein kleiner Junge, der sein neues Fahrrad beschreibt.
    Einen Augenblick lang sah der Major ihn wieder als Achtjährigen vor sich, dessen braune Locken die Mutter auf keinen Fall stutzen wollte. Es war ein rotes Rad gewesen, mit breiten Spike-Reifen und einem Sattel mit Federaufhängung wie bei einem Auto. Roger hatte es in dem großen Spielwarenladen in London entdeckt. Ein Mann hatte dort auf einer Bühne gleich neben dem Haupteingang Kunststücke damit vorgeführt. Das Rad hatte Rogers sämtliche Erinnerungen an das Science Museum vollkommen verdrängt. Nancy, erschöpft davon, mit einem kleinen Jungen durch London zu laufen, hatte in gespielter Verzweiflung den Kopf geschüttelt, als Roger seinen Eltern klarzumachen versuchte, wie unglaublich wichtig dieses Fahrrad sei und dass es sofort gekauft werden müsse. Sie hatten natürlich nein gesagt. Der Sattel von Rogers damaligem Fahrrad, einem grünen Gefährt mit solidem Rahmen, ließ sich noch ein ganzes Stück nach oben verstellen. Es hatte dem Major gehört, als er in Rogers Alter war. Seine Eltern hatten es, säuberlich in Sackleinen verpackt, im Schuppen aufbewahrt und einmal jährlich geölt.
    »Das Problem ist nur, entsprechend große Möbel zu finden. Sie lässt sich gerade in Japan eine Couchgarnitur maßfertigen.« Roger prahlte noch immer mit dem Loft. Marjorie wirkte beeindruckt.
    »Ich finde, G-Plan macht gute Sofas«, sagte sie. Bertie und Marjorie hatten den Großteil ihres Mobiliars bei G-Plan gekauft – gediegene, solide Polstermöbel, massive, kantige Tische und Kommoden. Die Auswahl sei zwar beschränkt, pflegte Bertie zu sagen, aber die Sachen seien so robust, dass sie ein Leben lang hielten. Da müsse man nie mehr etwas auswechseln.
    »Hoffentlich haben Sie sie mit Schonbezügen bestellt«, sagte Marjorie. »Damit halten die Polster so viel länger, vor allem, wenn man Antimakassars nimmt.«
    »Ziegenleder«, verkündete Roger stolz. »Sie hat meinen Ziegenledersessel gesehen und gesagt, ich wäre dem Trend voraus.«
    Der Major überlegte, ob er Roger als Kind vielleicht zu streng behandelt und dadurch zu dieser Maßlosigkeit getrieben hatte. Nancy dagegen hatte ihn nach Strich und Faden verwöhnt. Er war ihnen erst spät geschenkt worden, genau zu dem Zeitpunkt, als sie alle Hoffnungen auf Kinder begraben hatten, und Nancy konnte der Versuchung, ein strahlendes Lächeln auf Rogers kleines Gesicht zu zaubern, nie widerstehen. Er, der Major, hatte damals so manche Zügellosigkeit unterbinden müssen.
    »Roger hat absolut ein Auge für gutes Design«, sagte Sandy. »Er könnte glatt als Innenarchitekt durchgehen.« Roger lief rot an.
    »Wirklich?«, fragte der Major. »Das ist aber eine schwere Anschuldigung!«
     
    Wenig später brachen sie auf. Sandy gab Roger die Wagenschlüssel – sie wollte, dass er fuhr – und ließ sich kommentarlos auf dem Beifahrersitz nieder, so dass der Major hinten Platz nehmen musste.
    »Alles in Ordnung da hinten, Dad?«, fragte Roger.
    »Alles bestens«, erwiderte der Major, kam jedoch insgeheim zu der Überzeugung, dass Komfort auch etwas Erdrückendes haben konnte. Der Rücksitz war wie um seine Oberschenkel herummodelliert, und die helle Wagendecke bog sich bedrohlich dicht über seinem Kopf. Er fühlte sich wie ein Riesenbaby in einem ziemlich luxuriösen Kinderwagen. Der geräuscharme Motor surrte ein Gutenachtlied vor sich hin, und der Major kämpfte gegen seine stärker und stärker werdende Schläfrigkeit
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