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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers
Autoren: Robert Jackson Bennett
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die Messer tauchten hinein und dann wieder heraus zu ihren geöffneten Mündern. Graue und gelbe Zähne schimmerten im Feuerlicht. Sie nagten an den Knochen und zogen die Knorpel ab, dann legten sie die Reste in einen Topf, fügten Wasser hinzu und machten daraus einen Eintopf. Wortlos sahen sie zu, wie er sich erhitzte. Vor dem Hintergrund des Sternenhimmels ähnelten ihre glänzenden, traurigen Gesichter denen von Männern, die man lebendig verbrannte.
    Connelly betrachtete diese Fremden, die unter einem an einen zerbrochenen Teller erinnernden Mond saßen und mit stummen und verlorenen Blicken zusahen, wie ihr Fleisch auf dem armseligen Feuer zischte und sang. Irgendwo jaulte ein Zug, und die Erde bebte, aber sie rührten sich nicht. Und dann erkannte er, dass diese Männer etwas in sich trugen, das auch in ihm war. Es waren Männer, die eine abgrundtiefe Trauer taub und stumm gemacht hatte. Männer, denen man nicht nur Freude und Zufriedenheit geraubt hatte, sondern auch die Fähigkeit, solche Dinge überhaupt zu empfinden. Sie schliefen draußen auf Hügeln, nicht weil sie es wollten, sondern weil sie nicht im Lager schlafen konnten. Ein derartiger Ort war ihnen verboten.
    »Gott ist groß«, sagte Pike schließlich. »Der Herr ist gut zu uns. Er führte die Hasen in unsere Fallen und gab uns heute auf diese Weise unsere Beute. Und Er führte auch diesen Mann zu uns, und deshalb sage ich, dass Er für uns eine Aufgabe hat – wie wir für Ihn. Und wenn der Herr spricht, sollten wir zuhören.«
    Auf der anderen Seite des Feuers sahen sich Roosevelt und Hammond an. Hammond verdrehte leicht die Augen.
    »Wie weit sind Sie gereist, Mr. Connelly?«, wollte Pike wissen.
    »Weit. Memphis. Das war meine Heimat.«
    »Und dort sind Sie ihm begegnet? Dem Narbenmann?«
    »Ich bin ihm nie begegnet«, sagte Connelly leise.
    »Aber Sie hatten mit ihm zu tun? War das die Stadt, die Ihren Aufbruch veranlasst hat?«
    Connelly nickte.
    »Wie lange ist das her?«
    »Drei Wochen. Vielleicht auch mehr. Bin gelaufen und mit dem Zug gefahren. Bin per Anhalter unterwegs gewesen, wo ich konnte. Es war schwer. Keiner fährt mehr nach Westen. Jedenfalls keiner im Osten.«
    »Das haben wir gemerkt«, sagte Hammond. »Und wie.«
    » Er hat es aber geschafft«, erklärte Pike.
    Unbehaglich rutschten die Männer hin und her, unsicher, ob sie dieses Thema anschneiden wollten.
    »Wer ist er?«, fragte Connelly. »Der Mann mit den Narben? Was hat er Ihnen angetan?«
    »Warum?«, sagte Roosevelt. »Was hat er denn Ihnen angetan?«
    Connelly schwieg.
    »Sie sollten sich nicht so sehr sorgen«, sagte Pike leise. »Sie und wir, wir haben viel gemeinsam. Wir alle hier sind uns ähnlich.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Pike sah ihn mit einem traurigen Stirnrunzeln an. »Ich will damit sagen, dass wir alle jemanden an diesen Mann verloren haben.«
    Connelly starrte sie an. Die Männer erwiderten den Blick stumm und grimmig.
    »Nein«, flüsterte Connelly. »Ich glaube das nicht. Nein.«
    »Mr. Connelly, ich frage mich, ob Sie wohl bereit wären, mich Ihre Vergangenheit erraten zu lassen«, sagte Pike. »Ich habe das Gefühl, ich kenne Sie gut. Ist das in Ordnung?« Er dachte einen Moment nach, bevor er weitersprach. »Sie sind ein stiller Mann, Sir, wenn ich das sagen darf. Sie antworten, wenn man Sie anspricht, ansonsten ziehen Sie es vor, keine große Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie leben ein friedliches Leben, nicht unbedingt ein reiches Leben, aber eines mit stiller Würde, mit einem bescheidenen Job, bei dem Sie mit Ihren Händen arbeiten, und einer kleinen Familie, die Sie sehr lieben. Und irgendwann vor gar nicht so langer Zeit trat ein narbiger Mann in Ihr Leben. Es erschien wie eine zufällige Begegnung, ohne jede Bedeutung, und dennoch … Später entdeckten Sie, dass Ihnen dieser Mann alles genommen hat, das Sie liebten, und zwar alles auf einmal. Ich kann und will auch nicht raten, was er Ihnen genommen hat, Mr. Connelly, das ist Ihre Privatangelegenheit und sollte keinen Mutmaßungen überlassen werden. Aber was auch immer es war, Sie können nicht nach Hause zurückkehren. Sie können es nicht. Und wir können es auch nicht.«
    Connelly starrte in seinen Schoß, hörte Pike zu, weigerte sich aber, seine Worte zu glauben.
    »Wir sind ihm alle über den Weg gelaufen«, sagte Roosevelt. »Alle. Wir sind gereist, um ihn zu finden. Wir sind auf der Straße und auf dem Schienenstrang gereist.«
    Pike sagte:
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