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Moskito

Moskito

Titel: Moskito
Autoren: Nancy Kress
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Office! Er hatte die Fakten, er hatte den Überblick, er hatte die Vision – und nichts davon wäre von Belang, dachte Larsen, hätte er nicht auch den richtigen Draht zu den Menschen. Und den hatte Reading. Er war in der Lage, intuitiv Kontakt zu jeder Gruppierung zu finden – schwarz oder weiß, reich oder arm, schwul oder hetero, konservativ oder liberal, männlich oder weiblich. Noch dazu einen ehrlich gewollten Kontakt. Über die Jahre hatte Larson schon eine Menge Politiker beobachtet, aber dieser hier meinte, was er sagte, und sagte nichts, was er nicht meinte, und er hatte die Fähigkeit, es so zu sagen, daß es von den verschiedensten Zuhörerschaften verstanden wurde.
    Vielleicht schaffte es Reading tatsächlich bis ganz hinauf.
    Es war das erste Mal, daß Larson sich gestattete, es wirklich zu glauben. Ein Wahlkampfleiter wurde schließlich dafür bezahlt, ein Image aufzubauen, und nicht dafür, sich vom politischen Tiefgang des Kandidaten verführen zu lassen. Außerdem glaubte die skeptische Seite in Larson nicht daran, daß die Vereinigten Staaten wirklich schon bereit waren für einen schwarzen Präsidenten. Doch wenn er Reading in dieser viel zu alten Schule mit ihren hallenden holzgetäfelten Gängen und dem allgegenwärtigen Geruch nach Kreide zuhörte, war er sich dessen plötzlich nicht mehr so sicher.
    Reading brachte alle Voraussetzungen dafür mit: er war intelligent, gebildet, hineingeboren in die rassistische Katastrophe von Nordphiladelphia, die sich jetzt jedoch zur wohlhabenden oberen Mittelklasse gemausert hatte, Kriegsheld (zwar nur eines ›kleineren‹ Krieges, aber für diejenigen, die sie auszutragen hatten, gab es keine kleinen Kriege). Stabile, goldrichtige Wahlergebnisse. Treuer Ehemann seiner hübschen, aber nicht zu hübschen Frau, die ihm gerade mit leuchtenden, intelligenten Augen zuhörte. Keinerlei Frauengeschichten, wohlgeratene, erfolgreiche Kinder, keine Finanzskandale. Ein fähiger, anständiger Mensch. Und Reading hatte den richtigen Draht zu den Menschen, ohne den alles andere keinen Pfifferling wert gewesen wäre.
    Die Zuhörer, zumeist leicht links der Mitte stehende New Yorker Typen gesetzten Alters, lachten über etwas, das Reading gesagt hatte. Larson spürte, wie sie warm wurden. Noch ein paar Minuten, und sie würden Reading aus der Hand fressen. Welche genau die richtige Farbe hatte: deutlich schwarz, aber nicht allzu schwarz. Ein kräftiges Schokoladebraun. Malcolm Peter Reading mit dem in rassischer Hinsicht provozierenden Vornamen und dem beruhigend kapitalistischen Familiennamen war ein gutaussehender Mann. Zu allem anderen.
    Wieder lachte das Publikum. Der ältere Mann neben Larson, ein Weißer in flotten Khakihosen, nickte gedankenverloren. Ein schwarzes Pärchen in der Reihe vor ihm – sie trug eines dieser merkwürdigen afrikanischen Turban-Dinger und er ein Grateful-Dead-T-Shirt – grinste einander entzückt zu. Selbst der Bulle an der Tür wirkte beeindruckt.
    Lieber Himmel. Wenn Reading in New Hampshire genauso gut ankam, würden die Vorwahlen der reinste Spaziergang sein.
    In Larsons Kopf begann sich alles zu drehen. Wie im Schein eines Blitzlichtes – genauso kam es ihm vor: ein strahlend heller Blitz aus Technicolor-Licht – sah er sich im Weißen Haus immer noch als Ratgeber, lange nachdem die Wahlschlacht geschlagen war, immer noch als Unentbehrlichkeit … für den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Im Oval Office, bei einer Pressekonferenz im Rosengarten, in der Air Force One …
    Brems dich ein, Larson!
    Und das machte er auch. Aus langjähriger Gewohnheit, aus angeborenem Skeptizismus. Bleib auf dem Teppich, konzentriere dich auf die Gegenwart. Hör zu, was der Kandidat hier und jetzt sagt und nicht in irgendeinem hypothetischen Moment in einer hypothetischen ruhmreichen Zukunft. Und noch wichtiger: Hör auf das Publikum – wie kommt der Kandidat in diesem Moment an?
    Auf seinem hölzernen Klappstuhl an der linken Außenseite des Publikums beugte Larson sich vor, die Hände auf den Knien, und ließ den Blick über die Zuhörerschaft schweifen, die sich von dem überquellenden kleinen Saal mit gereckten Hälsen bis in den Korridor drängte. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß ihm der Beginn von Readings Schwierigkeiten entging. Er bemerkte erst etwas, als die Zuhörer anfingen, unruhig zu werden, die Stirn runzelten und einander besorgt ansahen. Da schnellte Larsons Blick zurück zum Podium.
    »… politische Ziele … die
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