Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moskito

Moskito

Titel: Moskito
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
ältere Person mit Venenentzündung, eine Frau in den Wehen, ein Kind, das von einem Zaun gefallen war und sechs Nähte verpaßt bekam. Ein Mann, so stockbesoffen, daß er nicht mehr aufrecht stehen konnte und nur Unverständliches brabbelte. Eine durchschnittliche Nacht.
    Kurz nach neun kam eine Ambulanz mit quietschenden Reifen zum Stehen. Die Oberschwester legte den Hörer auf und sagte: »Also los, Leute! Der Diensthabende ist schon auf dem Weg herunter. Wir haben zwei Schlaganfälle – nicht einen, sondern zwei! Passierten innerhalb von ein paar Minuten bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker. Schwere Fälle, alle beide.« Sie sprach rasch und organisierte ihre Mannschaft. Der diensthabende Arzt schoß vom Korridor herein.
    Für den Rest ihres Lebens blieb die nächste halbe Stunde eine nebelhafte Erinnerung für Rachel. So sehr sie sich später auch bemühte, sie konnte sich nicht aller Einzelheiten entsinnen. Anscheinend machte sie alles, was von ihr verlangt wurde, und machte es auch richtig, denn von nirgendwo regnete es hinterher Schelte. Sie mußte bei den Computertomographien assistiert haben, mittels derer bestimmt wurde, ob es sich bei den Schlaganfällen um ischämische oder hämorrhagische Apoplexien handelte, sie mußte das t-PA verabreicht und die Patienten an die Akutfall-Monitoren angeschlossen haben. Aber sie konnte sich später nicht erinnern, was sie getan hatte, wie sie es getan hatte und in welcher Reihenfolge.
    Sie erinnerte sich nur an die Patienten. Eine junge Frau, Mitte Zwanzig, mit einem Ring in der Nase und unzähligen Zöpfchen auf dem Kopf. Ein Mann mit dem steifen weißen Kragen eines Geistlichen. Er starb, und die junge Frau fiel in ein tiefes Koma. Und der Stockbesoffene hatte, wie sich später herausstellen sollte, keinen Tropfen Alkohol im Blut. Man hatte einfach aus seinem Verhalten und den stinkenden Kleidern und dem Plastikmüllsack mit seinen Habseligkeiten auf Volltrunkenheit geschlossen. Aber auch er hatte einen thrombotischen Gehirnschlag erlitten. Ebenso wie eine weitere Patientin, die gegen Mitternacht eingeliefert wurde. Eine junge, aktive Frau, Mutter von drei Kindern, die, wie ihr Ehemann versicherte, noch keinen Tag ihres Lebens krank gewesen war. Und dann, um 3 Uhr 17 morgens, ein Professor der Howard-Universität, der in der Nähe Urlaub machte, ein gesunder Mann zwischen dreißig und vierzig. Er starb um 4 Uhr 30.
    Der diensthabende Arzt hatte die Stirn in Dauerfalten gelegt und war tief in Gedanken versunken. Die Oberschwester schien außergewöhnlich gedämpfter Stimmung und sah niemanden direkt an. Die ältere Schwester sagte zu laut: »Zufall. Muß einfach irgendwann mal irgendwo passieren. Wenn alle Affen im Britischen Museum …«
    »So halt doch den Mund!« rief die Oberschwester.
    Rachel sagte nichts. In ihrem Magen lag eine schwere, dichte Masse wie eine Verstopfung an der falschen Stelle. Ich habe Angst, dachte sie klar und bewußt. Ich weiß nicht warum, aber ich habe Angst.
    Alle fünf Patienten hatten nahezu identische thrombotische Schlaganfälle erlitten. Alle fünf waren schwarz.

EINS
     
    Ich schwöre feierlich, die Verfassung der Vereinigten Staaten hochzuhalten und gegen alle Feinde innerhalb oder außerhalb des Landes zu verteidigen …
    Vereidigungsschwur,
    Federal Bureau of Investigation – FBI
     
     
    »Ein Neuanfang ist immer schwieriger, als etwas zum ersten Mal zu machen«, sagte Judy Kozinski vom Sofa aus, wo sie mit ihrer Strickerei aus purpurroter Wolle saß. »Es ist die verlorene Unschuld. Andere Erwartungen.«
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers blickte Cavanaugh aus seinem bequemen Ohrensessel hoch, wachsam und auf der Hut wie eine Maus, die die Katze riecht. Redeten sie jetzt über das FBI oder die Sache mit dem Heiraten? Bei Judy konnte man das in letzter Zeit nie wissen.
    Über die Sache mit dem Heiraten wollte er heute abend wirklich nicht reden. Nicht heute. Nicht schon wieder.
    »Ich meine, eine Veränderung dieser Größenordnung – natürlich stellt die eine Zeitlang alles auf den Kopf für dich.«
    Bislang kein konkreter Hinweis. Cavanaugh gab sein für diesen Fall vorgesehenes unverbindliches »Ehhhmmm« von sich.
    »Ich kann gut verstehen, wie du dich fühlst, Robert, auch wenn du das sicher nicht glaubst.«
    Immer noch kein Hinweis. Er versuchte ein unbestimmt gedankenschweres Stirnrunzeln.
    »Wenn du dich erst einmal an dein neues Aufgabengebiet gewöhnt hast, wirst du damit wahrscheinlich ebenso
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher