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Morton Rhu - Leben und Werk

Morton Rhu - Leben und Werk

Titel: Morton Rhu - Leben und Werk
Autoren: Nicola Bardola
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Ich kenne diese Art von Gespräch. Und auch dieses verlief zunächst wie üblich. Wie so oft folgte die Frage, ob ich nicht einmal etwas für Erwachsene schreiben wolle. Ich habe schon daran gedacht und denke immer noch daran. Es hat sich eben noch nicht ergeben. Aber dann folgte eine weitere Frage: Ob ich nicht einmal den großen Coup landen wolle. Zunächst dachte ich, mein Gegenüber spreche von einem Bestseller. Davon habe ich ja inzwischen einige. Aber mein Gesprächspartner meinte nicht einen Bestseller, sondern ein Drehbuch für einen Kinofilm. Das scheint für viele Leute immer noch das Höchste zu sein. Ich hatte und habe zahlreiche Kontakte zur Filmbranche. Aber Hollywood-Träume sind nicht meins. Ich ziehe es vor in meinem Arbeitszimmer Geschichten für junge Leser zu schreiben mit der Gewissheit, dass am Ende Bücher daraus werden. Mein Traum besteht darin, am Ende ein gutes Stück Arbeit geleistet zu haben. Auf dem Weg dahin fühle ich mich weniger wie ein Künstler, sondern eher wie ein Handwerker. Gute Bücher und gute Möbelstücke brauchen das Gleiche: Zeit und Sorgfalt.«
    Der Weg zu diesen aktuellen Ansichten Morton Rhues war lang. Als Schüler war er mehr an naturwissenschaftlichen Fächern interessiert und hatte anfangs Mühe mit dem Lesen- und Schreibenlernen. In Roslyn Heights auf Long Island förderten ihn seine Eltern, aber die Noten in Englisch blieben schlecht. Die New York University verließ er nach einigen Semestern, lebte in einer Kommune und reiste Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre vor allem per Autostopp durch die USA und längere Zeit durch Europa. Damals führte er Tagebuch, schrieb regelmäßig Briefe an Freunde und nach Hause, komponierte Songs und versuchte auch einige Kurzgeschichten zu schreiben. Er entwickelte die Vision, seinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen. Aber wie?
    Mitte der 1970er Jahre studierte Morton Rhue am Beloit College in Wisconsin Literatur und Kreatives Schreiben. In seinem Abschlussjahrgang 1974 stand der Beruf des Journalisten hoch im Kurs. Mit Watergate hatten Bob Woodward und Carl Bernstein soeben bewiesen, dass zwei Reporter fast im Alleingang fähig waren, den Präsidenten der USA zu stürzen. Das war ein Job! Plötzlich wollten ganz viele junge Menschen Journalisten werden. Aber viele hatten bessere Qualifikationen vorzuweisen als Morton Rhue. Bei den Zeitungen und Zeitschriften stapelten sich die Bewerbungen. Jemand gab dem Vierundzwanzigjährigen den Ratschlag, keine Bewerbungen zu schicken und nicht zu telefonieren, sondern persönlich in den Redaktionen vorzusprechen. Also zeichnete Rhue auf einem Plan vom Zentrum New Yorks aus Kreise in Zonen à zehn Meilen und markierte darin Redaktionsadressen. Er fuhr mit dem Auto hin und klapperte eine Zeitung nach der anderen ab. Das ging besser als erwartet und besser, als man sich das heute noch vorstellt, denn damals gab es an den Haupteingängen meist keine Empfangsschalter, Gegensprechanlagen oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen. Trotzdem bekam Morton Rhue nur Absagen und musste seinen Radius bis auf über siebzig Meilen im Umkreis von NYC ausdehnen. Bei Meile vierundsiebzig geschah etwa eineinhalb Monate nach Beginn des Bewerbungsmarathons das Unglaubliche: Morton betrat das Redaktionsbüro von Glen Doty bei der Middletown Times Herald-Record. Die Tür war offen, aber Rhue klopfte trotzdem. Doty blickte hoch und fragte, wer er sei. Er suche einen Job als Reporter, sagte Rhue. Ob er Erfahrung habe, wollte Doty wissen. Er habe für die Hochschulzeitung geschrieben und eine literarische Zeitschrift redigiert, erwiderte Rhue. Doty dachte kurz nach und fragte dann, ob er tags darauf kommen könne, um ein zweiwöchiges Praktikum zu beginnen. Am nächsten Morgen wurde Rhue zu einem Schreibtisch gebracht, der voller Papiere war. Ein übervoller Aschenbecher stand neben einer Schreibmaschine, in der noch ein Blatt mit einer angefangenen Geschichte steckte. Nebenan tippte ein Redakteur mit zwei Fingern auf seiner Schreibmaschine. Rhue räusperte sich und fragte, ob dieser Schreibtisch einem anderen Journalisten gehöre. Der Redakteur blickte nur kurz auf und brummte: »nicht mehr«. Dann tippte er weiter und sagte, Gil sei vorgestern erschossen worden. Morton Rhue setzte sich und begann seine erste journalistische Tätigkeit. Erst einige Zeit später erfuhr er, dass die Gattin seines Vorgängers auf ihren Mann geschossen hatte. Nur weil Gil, kurz bevor sie abdrückte, eine Hand vor die Mündung
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