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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate
Autoren: Die fernen Stunden
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seine verwitwete Mutter von dem
gepolsterten Stuhl am Ende des Restauranttisches aus zusah, wie seine Kinder
einen Toast ausbrachten und die Geschichte des Engels noch einmal erzählten,
der das Leben ihres Vaters gerettet hatte und ohne den keiner von ihnen
existieren würde.
     
    Tom Cavill
zog nicht mehr mit seinem Regiment in die Schlacht nach Nordafrika. Zu dem
Zeitpunkt war er bereits tot. Tot und begraben, kalt in der Erde von Schloss
Milderhurst. Er starb, weil die Nacht regnerisch gewesen war. Weil ein
Fensterladen herunterhing. Weil er einen guten Eindruck machen wollte. Er
starb, weil viele Jahre zuvor ein eifersüchtiger Ehemann seine Frau mit einem
anderen Mann in flagranti ertappt hatte.
    Lange Zeit
erfuhr niemand etwas davon. Das Gewitter verzog sich, der Wasserspiegel sank,
und der Cardarker-Wald breitete seine schützenden Flügel über Schloss
Milderhurst aus. Die Welt vergaß Tom Cavill, und alle Fragen nach seinem
Schicksal verloren sich in der Zerstörung und den Trümmern des Krieges.
    Percy
schrieb ihren Brief, der die endgültige, entsetzliche Unwahrheit enthielt, die
sie ihr ganzes Leben quälen sollte. Saffy schrieb einen Brief, in dem sie auf
die Stellung als Kindermädchen verzichtete - Juniper brauchte sie, was blieb
ihr übrig? Flugzeuge flogen über das Schloss hinweg, der Krieg war aus, der
Himmel klarte auf, die Jahre vergingen in steter Monotonie. Die Schwestern
Blythe wurden alt und zu einem Kuriosum im Dorf. Legenden begannen, sich um sie
zu ranken. Bis eines Tages eine junge Frau zu Besuch kam. Sie war verwandt mit
einer anderen, die vor langer Zeit dort gewesen war, und die Mauern begannen
zu flüstern, weil sie sie wiedererkannten. Percy Blythe begriff, dass es an der
Zeit war. Fünfzig Jahre hatte sie an ihrer Last getragen, jetzt war es an der
Zeit, sich davon zu befreien und Thomas Cavills Akte endgültig zu schließen. Die
Geschichte würde endlich zu einem Ende kommen.
    Das tat
Percy und beauftragte die junge Frau, das Richtige damit anzufangen.
    Dann blieb
ihr nur noch eins zu tun.
    Sie
versammelte ihre geliebten Schwestern um sich und sorgte dafür, dass sie tief
schliefen und träumten. Und dann entzündete sie ein Streichholz, in der
Bibliothek, wo alles angefangen hatte.
     
    Epilog
     
    Seit
Jahrzehnten wird der Dachboden als Lagerraum benutzt. Nichts als Kartons und
alte Sessel und uralte Druckerzeugnisse. Das Gebäude selbst beherbergt einen
Verlag, und der schwache Geruch nach Papier und Tinte hat sich in den Wänden
und Böden festgesetzt.
    Es ist das
Jahr 1993. Die
Renovierung hat Monate in Anspruch genommen, aber jetzt ist sie endlich
abgeschlossen. Der Schutt ist weggeräumt, die Wand, die irgendwann jemand errichtet
hatte, um aus dem zugigen Dachboden zwei Räume zu machen, ist abgerissen, und
zum ersten Mal seit fünfzig Jahren hat der Dachboden in Herbert Billings
viktorianischem Haus in Notting Hill einen neuen Mieter.
    Es klopft
an der Tür, woraufhin eine junge Frau vom Fensterbrett springt. Es ist
besonders breit, wie geschaffen dafür, es sich dort gemütlich zu machen. Sie
fühlt sich von dem Fenster angezogen. Die Wohnung liegt nach Süden, sodass sie
immer Sonne hat, besonders im Juli. Sie mag den Blick über den Garten, die
Straße entlang, und es macht ihr Spaß, die Stare zu füttern, die sie seit
einiger Zeit regelmäßig besuchen. Sie wundert sich über die merkwürdigen
dunklen Flecken auf der Fensterbank, die fast wie Kirschflecken aussehen und
trotz des frischen weißen Lacks durchschimmern.
    Als Edie
Burchill die Tür aufmacht, stellt sie überrascht und erfreut fest, dass ihre
Mutter sie besucht. Meredith hält ihr einen Geißblattzweig hin und sagt: »Der
wuchs an einem Zaun, und ich konnte nicht widerstehen, dir einen mitzubringen.
Nichts bringt so viel Leben in ein Zimmer wie Geißblatt, findest du nicht
auch? Hast du eine Vase?«
    Edie hat
keine, noch nicht, aber sie hat eine Idee. Ein Glas, so wie sie früher benutzt
wurden, um Marmelade einzukochen, ist während der Renovierungsarbeiten
aufgetaucht und steht jetzt neben dem Waschbecken. Edie füllt das Glas mit
Wasser, steckt den Zweig hinein und stellt das Glas auf die Fensterbank, wo es
von der Sonne beschienen wird. »Wo ist Dad?«, fragt sie. »Hast du ihn heute
nicht mitgebracht?«
    »Er hat
Dickens entdeckt. Bleak House.«
    »Wenn das
so ist«, sagt Edie, »ich glaube, dann kannst du ihn für die nächste Zeit
abschreiben.«
    Meredith
langt in ihre Tasche, zieht einen Stapel
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