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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate
Autoren: Die fernen Stunden
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drei zusammenblieben.
    »Kommst du
bald nach oben, Perce?« Saffy hatte die Marmelade schon aufgewischt und stand
mit einem Krug Wasser in den Händen vor ihr.
    »Ich muss
eben noch einige Dinge hier unten erledigen. Die Taschenlampe braucht neue
Batterien ...«
    »Ich
bringe das rauf zu Juniper. Die Arme hat bestimmt Durst. Kommst du auch bald?«
    »Ja, ich
komme gleich.«
    »Halt dich
nicht zu lange auf, Perce.«
    »Keine
Sorge. Ich bin bald bei euch.«
    Saffy
zögerte am unteren Treppenabsatz, drehte sich noch einmal zu Percy um und
lächelte sanft, aber auch ein bisschen nervös. »Wir drei«, sagte sie. »Das ist
doch schön, nicht wahr, Perce? Wir drei endlich wieder vereint?«
     
    Saffy
verbrachte die ganze Nacht im Sessel in Junipers Zimmer. Ihr Hals war steif,
und sie fror trotz der Decke, die sie sich um die Knie gewickelt hatte. Dennoch
blieb sie; ihr eigenes warmes Bett im Schlafzimmer unten stellte keine
Versuchung dar, nicht, wenn sie hier gebraucht wurde. Saffy dachte manchmal,
dass es für sie die glücklichsten Momente in ihrem Leben gewesen waren, als
sie sich um Juniper kümmern konnte. Sie hätte gern selbst Kinder gehabt. Das
hätte sie sich in der Tat sehr gewünscht.
    Wenn
Juniper sich regte, sprang Saffy auf, streichelte die feuchte Stirn ihrer
kleinen Schwester und fragte sich, welche Nebel und Dämonen ihr zu schaffen
machten.
    Das Blut
auf ihrer Bluse.
    Das gab
wirklich Anlass zur Sorge, aber Saffy weigerte sich, allzu viel darüber nachzudenken.
Nicht jetzt. Percy würde es richten. Gott sei Dank hatten sie Percy. Percy, die
rettende Seele, die immer wusste, was zu tun war.
    Juniper
hatte sich wieder beruhigt, ihr Atem ging tief und regelmäßig, und Saffy
setzte sich wieder hin. Ihr taten die Beine weh von der Anspannung des Tages,
und sie fühlte sich ungewöhnlich erschöpft. Aber sie wollte nicht schlafen: In
dieser Nacht hatte sie schon genug seltsame Erscheinungen gehabt. Sie hätte die
Tablette ihres Vaters nicht nehmen sollen; sie hatte einen entsetzlichen
Albtraum gehabt, als sie im guten Zimmer eingedöst war. Denselben Traum kannte
sie seit ihrer Kindheit, aber diesmal war er ausgesprochen realistisch gewesen.
Es musste an den Tabletten gelegen haben und am Whisky, an der Aufregung des
Abends, am Gewitter. Sie war wieder ein kleines Mädchen gewesen, allein im
Dachzimmer. Etwas hatte sie geweckt im Traum, ein Geräusch am Fenster, und sie
war aufgestanden, um nachzusehen. Der Mann, der an der Außenwand
hochgeklettert war, war so schwarz wie Pech gewesen, wie jemand, der bei einem
Brand verkohlt war. Bei einem Blitz hatte Saffy sein Gesicht gesehen. Die
anmutige, verwegene Jugendlichkeit unter der tückischen Maske des Modermanns.
Der überraschte Blick, das beginnende Lächeln. Genauso hatte sie es immer
geträumt, als sie noch klein war, genauso hatte ihr Vater es in seinem Buch
beschrieben. Die List des Modermanns war sein Gesicht. Sie hatte etwas in die
Hand genommen, wusste nicht mehr, was, und hatte es ihm mit voller Wucht auf den
Kopf geschlagen. Seine Augen hatten sich vor Verwunderung geweitet, und dann
war er gestürzt. War an der Hauswand hinuntergerutscht und schließlich im
Graben versunken, wo er hingehörte.
     
    4
     
    An einem
anderen Ort in dieser Nacht, in einem Nachbardorf, drückte eine Frau ihr
Neugeborenes an sich und fuhr sanft mit dem Daumen über seine pfirsichweiche
Wange. Ihr Ehemann würde erst viele Stunden später nach Hause kommen, müde von
seiner Nachtwache, und die Frau, immer noch benommen von der plötzlichen und
traumatischen Geburt, würde die Einzelheiten bei einer Tasse Tee erzählen, von
der Fahrt im Bus zur Arbeit, von den plötzlich einsetzenden Wehen, der Blutung
und der panischen Angst, dass das Baby sterben könnte, dass sie sterben könnte,
dass sie ihren neugeborenen Sohn nie würde in den Armen halten können; und
dann würde sie erschöpft lächeln, zärtlich, und kurz innehalten, um sich die
Tränen abzuwischen, die ihr Gesicht wärmten, und sie würde ihm von dem Engel
erzählen, der neben ihr am Straßenrand erschienen war, sich neben sie gekniet
und ihr Kind gerettet hatte.
    Und es
sollte eine Familiengeschichte werden, immer wieder erzählt und weitergegeben,
in regnerischen Nächten am Kamin zum Leben erweckt, heraufbeschworen, um Streit
zu schlichten, und bei Familienfeiern wiedergegeben. Und die Zeit würde
verstreichen, Monat um Monat, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, bis am
fünfzigsten Geburtstag jenes Kindes
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