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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
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mit schwerer Atemnot erwacht ist.
    So könnte es gewesen sein. Als junges Mädchen hat sie Asthmaanfälle gehabt. Miss Molly, die englische Gouvernante der Familie Bianchi. Das war vielleicht der Grund, warum sie nach Italien gegangen ist. Ins bessere Wetter. Aber das ist zu dem Zeitpunkt, als ihre Geschichte mit Mortimer beginnt, schon ungefähr zwanzig Jahre her.
4
    Die Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Sie beginnt im Mai 1944, als Mortimer mit dem Fallschirm dort oben im Garten landet. Aber da ist auch die Geschichte von Marco und Julia. Die beginnt fast vierzig Jahre später, als die beiden zum ersten Mal im
Albergo Fantini
wohnen.
    Oder nein, sie begann schon ein bisschen früher. Als die beiden einander in Siena über den Weg liefen. Julia und ihre Freundinnen Susanne und Marianne besuchten dort einen Italienischkurs. Sie lernten den Basiswortschatz und ein paar Grundbegriffe der italienischen Grammatik, sie begannen den
Pinocchio
zu lesen, aber nachdem Julia Marco kennengelernt hatte, fing sie an, den Kurs zu schwänzen.
    Das lag einerseits daran, dass Marco ihr gesagt hatte, mit ihm lerne sie sicher besser Italienisch. Anderseits lag es daran, dass in den Stunden, in denen Susanne und Marianne an der Uni saßen, die Wohnung in der Via del Giglio, in der sich die drei Mädchen einquartiert hatten, frei war.
Sturmfreie Bude
, sagte Julia, Marco versuchte das nachzusprechen. Damals bestand noch die Möglichkeit, dass nicht nur sie von ihm Italienisch lernte, sondern auch er von ihr ein bisschen Deutsch.
    Damals bestanden noch viele Möglichkeiten. Und sie verstanden einander auch ohne Worte. Vor allem in Liebesdingen, die gar nicht so viele Worte brauchten. In der Dreizimmerwohnung in der Via del Giglio gab es zwar keine Betten, sondern nur Matratzen, aber als Unterlage waren diese Matratzen ganz in Ordnung.
    Wenn Marco und Julia nach ihren erfreulichen Umarmungen auf dem Rücken nebeneinander lagen, wirkte der ohnehin hohe Raum mit dem stuckverzierten Plafond noch um einiges höher. Durch die grünen Läden an den hohen Fenstern fiel ein schönes Licht, draußen, wo auf dem kleinen Platz vor der Kirche ein grüner Baum stand, zwitscherten vormittags die Spatzen, die auf Italienisch
passeri
hießen, und nachmittags sangen die Amseln, die Marco
merli
nannte. So lernte Julia wirklich ein wenig Italienisch, insbesondere die Bezeichnungen für diverse Körperpartien, vom Kopf bis zur Zehe, mit allem dazwischen. Einige von den Worten, die ihr Marco zärtlich beibrachte, hätte sie im Italienischkurs wahrscheinlich nicht gelernt.
    Doch auf die Dauer war das kein haltbarer Zustand. Die Freundinnen waren nicht prüde, aber irgendwie gehörte sich das denn doch nicht. Sie hatten den Kurs gemeinsam gebucht, sie hatten sich ihre Dreiweiberwohngemeinschaft in Siena so schön ausgemalt. Und nun wurde ihre Dreisamkeit durch diesen Mann gestört.
    Der war zwar ganz nett, o doch, das fanden sie auch. An zwei oder drei Abenden saßen sie zu viert auf dem Campo und aßen Pizza. Da war er (so Marianne) ganz amüsant, ja sogar (so Susanne) ganz charmant. Aber dass er seine virile Aufmerksamkeit hauptsächlich Julia schenkte und ihnen, bei allem scherzhaften Geplänkel, doch nur nebenbei, verstimmte sie.
    Erst recht, wenn die beiden sich dann bald wieder absetzten. Einmal um Mitternacht, nachdem Julia sich nach einem sehr romantischen Spaziergang unter einem erstaunlich gelben Mond von Marco verabschiedet hatte, erwarteten sie die zwei Freundinnen zu einem klärenden Gespräch. Dass ihnen die ständige Anwesenheit dieses
Mannsbilds
, so nannten sie den amüsanten, ja charmanten Marco auf einmal, in ihrer Abwesenheit nicht recht sei. Und dass sie es leid seien, seine Barthaare in der Waschmuschel vorzufinden und die Klobrille in der falschen (frauenfeindlichen) Position.
    Am nächsten Tag begann Julia ihre Sachen zu packen. Und am übernächsten fuhr sie mit Marco nach Süden. Es traf sich, dass das Seminar über französischen Film beinahe zu Ende war. So hatte alles begonnen. Und so kamen sie nach San Vito.
5
    Aus Siena waren sie gegen zehn aufgebrochen. Mit dem Citroën 2CV,
Le Canard
, der Ente, die so gut zu Marco passte. Marco mit seiner Baskenmütze, Marco mit seiner auch bei sommerlichen Temperaturen selten abgelegten Windjacke. Er sah damals tatsächlich ein bisschen aus wie der Regisseur, der er gern geworden wäre.
    Vorläufig war er beinahe
medico
. Wenn Julia ihn richtig verstanden hatte, hatte er sein
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