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Morphium

Morphium

Titel: Morphium
Autoren: Agatha Christie
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rötliches Haar, ein sympathisch hässliches, sommersprossiges Gesicht und ein auffallend energisches Kinn. Seine Augen waren von durchdringendem hellem Blau.
    »Guten Morgen, Mrs Welman«, sagte er.
    »Guten Morgen, Dr. Lord. Das ist meine Nichte, Miss Carlisle.«
    Offensichtliche Bewunderung zeigte sich auf Dr. Lords Gesicht. Er begrüßte sie und nahm die Hand, die Elinor ihm entgegenstreckte, so behutsam, als fürchte er, sie zu zerbrechen.
    »Elinor und mein Neffe sind gekommen, um mich aufzuheitern.«
    »Großartig!«, nickte Dr. Lord. »Gerade das, was Sie brauchen! Das wird Ihnen sicherlich sehr gut tun, Mrs Welman.«
    Er sah Elinor noch immer mit offener Bewunderung an.
    Sie lächelte ihm zu, während sie zur Tür ging.
    »Vielleicht sehe ich Sie noch, bevor Sie gehen, Dr. Lord?«
    »Oh, ja – natürlich.«
    Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Dr. Lord näherte sich dem Bett, Schwester O’Brien hinter ihm her.
    Mrs Welman spottete mit einem Augenzwinkern:
    »Machen Sie wieder die üblichen Kunststückchen: Puls, Atmung, Temperatur? Was für eine windige Gesellschaft ihr Ärzte doch seid!«
    »Oh, Mrs Welman – so etwas zum Doktor zu sagen!«
    Schwester O’Brien war ganz entrüstet.
    Doch Dr Lord lachte.
    »Mrs Welman durchschaut mich, Schwester! Trotzdem, Mrs Welman, muss ich meine Pflicht tun, wissen Sie. Das Dumme ist nur, dass ich die rechte Art, mit den Patienten umzugehen, nie gelernt habe.«
    »Ihre Art ist schon recht. Tatsächlich sind Sie ja auch ziemlich stolz darauf.«
    Peter Lord lachte:
    »Das sagen Sie!«
    Nachdem die Routinefragen gestellt und beantwortet waren, lehnte sich Dr. Lord in seinem Stuhl zurück und lächelte seiner Patientin zu.
    »Na«, sagte er. »Das geht ja prächtig vorwärts.«
    »Also werde ich in ein paar Wochen aufstehn und im Haus herumspazieren können?«
    »Nun, ganz so schnell wird es wohl nicht gehen.«
    »Nein, wirklich nicht, Sie Schwindler! Was hat man vom Leben, wenn man so ausgestreckt daliegen und gepflegt werden muss wie ein kleines Kind?«
    »Was hat man überhaupt vom Leben? Das ist doch die eigentliche Frage. Man lebt nicht, weil die Vernunft das Leben bejaht. Leute, von denen man so sagt, es wäre besser für sie, tot zu sein, wollen nicht sterben. Aber Leute, die scheinbar alles haben, wofür sich zu leben lohnt, lassen sich einfach aus dem Leben gleiten, weil sie nicht die Energie haben zu kämpfen. Und Sie sind einer von den Menschen, die wirklich leben wollen, was immer Sie auch sagen mögen! Und wenn Ihr Körper leben will, so nützt das gar nichts, wenn Ihr Verstand etwas anderes sagt.«
    Mrs Welman wechselte plötzlich das Thema.
    »Wie gefällt es Ihnen hier draußen?«
    Peter Lord erwiderte lächelnd:
    »Sehr gut.«
    »Ist es nicht ein wenig langweilig für einen jungen Mann wie Sie? Wollen Sie sich nicht spezialisieren? Finden Sie eine Landpraxis nicht etwas wenig abwechslungsreich?«
    Lord schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich hab meine Arbeit gern. Ich hab die Leute gern, und ich hab gewöhnliche, alltägliche Krankheiten gern. Ich wünsche mir nicht, den seltenen Bazillus einer unbekannten Krankheit zu entdecken. Mir genügen Masern, Windpocken und all das. Es interessiert mich zu sehen, wie die verschiedenen Körper darauf reagieren. Ich will sehen, ob ich nicht eine traditionelle Therapie verbessern kann. Das Schlimme bei mir ist, dass ich gar keinen Ehrgeiz habe. Ich werde hier bleiben, bis mir ein Backenbart wächst und die Leute anfangen zu sagen: Natürlich, wir haben unsern Dr. Lord, und er ist ein netter alter Herr; aber er ist doch sehr altmodisch in seiner Behandlungsweise, vielleicht sollten wir lieber den jungen So-und-so berufen, der soll sehr modern sein…«
    »Hm«, sagte Mrs Welman. »Sie scheinen ja wirklich schon unabänderliche Pläne zu haben!«
    Peter Lord stand auf.
    »Na, ich muss gehen.«
    »Meine Nichte wird noch mit Ihnen sprechen wollen, vermute ich. Wie finden Sie sie übrigens? Sie hatten sie ja bisher noch nicht kennen gelernt.«
    Dr. Lord wurde plötzlich hochrot. Sogar seine Augenbrauen erröteten.
    »Ich – oh! Sie ist sehr hübsch, nicht? Und – sicher auch sehr gescheit und alles – «
    Mrs Welman amüsierte sich. Sie dachte: Wie jung er doch ist, wirklich…
    Laut sagte sie: »Sie sollten heiraten, Doktor.«
     
    Roddy spazierte im Garten. Er ging über den breiten Rasenvorplatz in den Küchengarten, der gut bestückt und sorgsam gepflegt war. Er fragte sich, ob er und Elinor wohl eines
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