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Morphium

Morphium

Titel: Morphium
Autoren: Agatha Christie
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möchten Sie nicht?«, schlug Schwester Hopkins vor.
    »Dazu bin ich nicht gescheit genug.«
    »Es gibt verschiedene Arten Verstand! Wenn Sie meinen Rat hören wollen, Mary, haben Sie noch etwas Geduld. Meiner Ansicht nach ist Mrs Welman es Ihnen schuldig, Ihnen eine Berufsausbildung zu ermöglichen, und ich zweifle nicht, dass sie auch die Absicht dazu hat. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie Sie lieb gewonnen hat, dass sie Sie nicht verlieren möchte.«
    Mary tat einen tiefen Atemzug. »Glauben Sie wirklich?«
    »Ich zweifle nicht im Mindesten daran! Da liegt sie, die arme alte Dame, mehr oder weniger hilflos, halbseitig gelähmt, und hat nichts und niemanden, der sie unterhalten könnte. Da bedeutet es viel für sie, ein frisches, hübsches junges Ding wie Sie um sich zu haben. Sie haben eine sehr nette Art im Krankenzimmer.«
    Mary sagte leise:
    »Wenn Sie das wirklich meinen – das freut mich wirklich… Die liebe Mrs Welman, ich habe sie sehr, sehr gern! Sie war immer so gut zu mir. Ich möchte alles für sie tun!«
    »Das beste, was Sie tun können, ist zu bleiben, wo Sie sind, und sich keine Sorgen mehr zu machen! Es wird nicht mehr lange dauern.«
    »Meinen Sie…?«
    Marys weitgeöffnete Augen sahen erschrocken drein. Die Pflegerin nickte.
    »Sie hat sich ja wunderbar erholt, aber es wird nicht für lange sein. Es wird ein zweiter und dann ein dritter Schlaganfall kommen. Ich kenne das nur zu gut. Haben Sie nur etwas Geduld, mein Kind. Wenn Sie die letzten Tage der alten Dame erhellen und sie zerstreuen, so ist das eine bessere Tat als viele andere. Alles Weitere wird sich dann finden. Da kommt übrigens Ihr Vater aus dem Pförtnerhaus – aber nicht, um uns freundlich guten Tag zu sagen, nehme ich an!«
    Sie näherten sich gerade dem großen eisernen Gittertor. Die zwei Stufen des Pförtnerhauses humpelte ein ältlicher Mann mit gebeugtem Rücken mühsam herunter.
    »Guten Morgen, Mr Gerrard«, grüßte Schwester Hopkins fröhlich.
    Ephraim Gerrard erwiderte nur mürrisch:
    »Ah!«
    »Schönes Wetter«, meinte Schwester Hopkins.
    »Vielleicht für Sie. Für mich nicht. Mein Hexenschuss tut höllisch weh.«
    »Das war das nasse Wetter vorige Woche, vermute ich. Das heiße trockene Wetter wird da bald Abhilfe schaffen.«
    Ihre berufsmäßig optimistische Miene schien den alten Mann zu ärgern.
    »Ihr Pflegerinnen – ihr seid doch alle gleich! Voll Heiterkeit, was die Leiden anderer Leute angeht! Und die Mary da redet auch davon, Pflegerin zu werden. Ich hätte gedacht, sie würde etwas Besseres werden wollen, mit ihrem Französisch und Deutsch und Klavierspielen und allem, was sie in ihrer großartigen Schule und auf ihren Auslandsreisen gelernt hat!«
    Mary erwiderte scharf:
    »Pflegerin sein würde mir vollkommen genügen!«
    »Ja, und am liebsten würdest du gar nichts machen, nicht wahr? Herumstolzieren und die feine Dame spielen! Müßiggehen, das ist es, was du möchtest, was?«
    Mary wehrte sich mit Tränen in den Augen:
    »Das ist nicht wahr, Vater, du hast kein Recht, so etwas zu sagen!«
    Schwester Hopkins legte sich ins Mittel. »Das meinen Sie doch nicht ernst, was Sie da sagen, Gerrard! Mary ist ein braves Mädchen und Ihnen eine gute Tochter.«
    Gerrard schaute seine Tochter mit einem Ausdruck purer Bosheit an.
    »Das ist nicht mehr meine Tochter – mit ihrem Französisch-Parlieren und affektiertem Reden. Pah!«
    Er wandte sich ab und ging ins Haus zurück.
    Marys Augen standen voll Tränen.
    »Da sehen Sie, Schwester, wie schwer es ist. Er ist so unvernünftig! Er hat mich nie recht mögen, auch nicht als kleines Mädchen. Da musste die Mutter mich immer verteidigen.«
    »Nun, nun, ärgern Sie sich nicht! Diese Dinge werden uns als Prüfung auferlegt! Herrgott, ich muss mich beeilen. Hab noch eine große Runde zu absolvieren diesen Vormittag.«
    Während sie der rasch entschwindenden Gestalt nachsah, dachte Mary Gerrard traurig, dass einem niemand wirklich helfen konnte. Schwester Hopkins begnügte sich trotz all ihrer Freundlichkeit damit, ein paar Gemeinplätze vorzubringen und sie einem als neue Lösungen anzubieten.
    Und Mary dachte trostlos: Was soll ich nur tun?

2
     
    M rs Welman lehnte in ihren sorgfältig aufgetürmten Kissen. Sie atmete ein wenig schwer, aber sie schlief nicht. Ihre Augen – Augen so tiefblau wie die ihrer Nichte Elinor – blickten zur Decke empor. Sie war eine starke, schwere Frau mit schönem Adlerprofil. Ihr Gesicht verriet Stolz und Entschlossenheit.
    Ihre
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