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Morpheus #2

Morpheus #2

Titel: Morpheus #2
Autoren: Jilliane Hoffman
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kriegen keine zweite Chance. Wenn Sie versuchen, den Wachmann zu rufen, erhöhe ich die Opferzahl, sobald ich mit Ihnen fertig bin, kapiert? Denn trotz der landläufigen Meinung – ich bin kein netter Kerl, C. J.»
    Sie nickte langsam. An ihrer Kehle spürte sie das Messer, die gezackte Spitze ritzte ihr in die Haut.
    Ihre Hände zitterten, und das dicke Schlüsselbund, das von der Zündung baumelte, klimperte. Sie dachte an ihre Handtasche, an die Pistole ihres Vaters, kaum dreißig Zentimeter entfernt, doch sie würde es niemals schaffen. Dann schaltete sie das Licht an und legte den Rückwärtsgang ein. Langsam parkte sie aus. Der Wachmann setzte sich zurück auf den Rand des Blumenkübels und richtete den Blick wieder auf das Gebäude.
    «Sie fahren auf die 14. Straße und biegen dann rechts ab. Halten Sie sich ja an die Verkehrsregeln.
    Wir fahren unter der 836 durch und einmal um den Block. Dann bleiben Sie stehen und ich übernehme.»
    Die automatische Schranke des Geländes öffnete sich, und C. J. bog rechts in die tagsüber so geschäftige 14. Straße ein. Auf der anderen Straßenseite lag das Parkhaus der Ambulanz des Cedars Sinai Hospital. Sie erreichten die 12. Avenue, und C. J. machte an der roten Ampel Halt. Sie zitterte jetzt am ganzen Körper. Hinter sich hörte sie ihn ruhig atmen. Sie wusste, er versuchte, ihre Gedanken zu lesen. Sanft drückte er ihr das Messer an die Kehle. Der Kratzer begann offensichtlich zu bluten, sie spürte, wie ein Tropfen Blut in ihren Kragen rann. Einen Block weiter nach links war das Jackson Memorial Hospital mit dem Ryder Trauma Center, wo die besten Chirurgen des Landes arbeiteten.
    Sie schlossen die Wunden, die wütende Gang-Mitglieder auf ihren Rachefeldzügen geschlagen hatten. Sie flickten die Hatfields zusammen, bevor sie sich zurückschleppten zum Showdown gegen die McCoys. Sie verstauten Milz und Leber wieder dort, wo sie hingehörten, wenn ein Auto auf der I95
    die Leitplanke geküsst hatte. Vielleicht schaffte C. J.
    es ja, geradewegs in die Notaufnahme zu fahren.
    Dann könnten sie versuchen zu retten, was zu ret-

    ten war. Ihr das Messer aus der Kehle ziehen und sie mit Blut versorgen. Vielleicht schafften sie es ja, sie mit Nadel und Faden und Klammern und Ersatz-teilen wieder zusammenzuflicken.
    Weiter geradeaus, eine Meile die 14. Straße hinunter, käme sie direkt zum Gerichtsmedizinischen Institut. Sie könnte dem Leichenwagen die Fahrt ersparen.
    Im Rückwärtsgang würde sie am Stacheldraht des County Jail landen. Vielleicht war das der Ort, wo sie eigentlich hingehörte.
    Und dann gab es noch die endgültige Alternative.
    Rechts abbiegen, dem gewaltsamen Tod durch die Hände eines routinierten Mörders entgegen. Wenn er erst mal hinter dem Steuer saß, würde er sie in irgendeinen Trailer-Park in Florida City verschlep-pen oder in eine Hütte im Mangrovendickicht der Everglades. Und dann hätte er die schlimmste Waffe gegen sie in der Hand. Die Zeit.
    Bei der Polizei gab es eine goldene Regel, die schon kleinen Kindern in der Schule eingetrichtert wurde, gleich nach dem Verbot, mit Waffen zu spielen. Sie selbst hatte es ihren Schülern immer wieder vorgebetet, wenn sie als Staatsanwältin gemeinsam mit den Detectives Selbstverteidigungskurse gab.
    Diese Regel lautete: Steig niemals in das Auto ein.
    Alles war besser: wenn der Angreifer auf offener Straße schoss, mit dem Baseballschläger auf einen losging, einen festhielt, während man schrie und um sich trat. Hauptsache, man stieg nicht in das Auto ein. Denn wenn man einmal drin war, war man weg vom Fenster.
    Stille Tränen liefen ihr über die Wangen. Es war vorbei. Sie war so gut wie tot, niemand würde sie je wieder zusammenflicken. Es gab die Kinder, die missbraucht wurden und ins Heim kamen, nur um wieder missbraucht zu werden – es gab Seelen, die nicht zu retten waren. Dazu gehörte auch ihre Seele. Der Schaden war zu groß, saß tief. Fünfzehn Jahre lang war sie vor einem Geist mit Clownsmaske davongelaufen. Er besuchte sie immer noch in jeder Nacht. Selbst wenn der Rest der Welt der Meinung war, dass sie längst darüber weg sein müsste, konnte sie immer noch kein normales Leben führen. Und dann hatte sich ihr Therapeut da-zugesellt. Der Ersatzvater, der sie von ihrem Elend hätte erlösen sollen, hatte mit seinem liebenswürdi-gen, geduldigen Lächeln ihren Untergang geplant, er hatte ihre Seele für seine eigenen Zwecke missbraucht. Und jetzt passierte das Gleiche schon wieder.
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