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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
Autoren: Jennifer Wolf
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stellt er fest und ich frage mich, wie ich wohl als Wölfin aussehe.
    »Ich habe dich so sehr vermisst«, sage ich, was Nevis dazu bringt, auf seine Unterlippe zu beißen und mich wieder an sich zu drücken.
    »Danke, Mutter«, flüstert er in mein Fell. Sein Atem durchfährt meine Haare wie ein heißer Wind und ich bekomme Gänsehaut. »Danke.«
    Ich spüre, dass Gaia sich neben uns kniet. Ihre Nähe ist prickelnd wie Elektrizität.
    »Ich weiß«, beginnt sie zu sprechen und Nevis und ich sehen sie an, »die Gestalt des Wolfes ist … unbefriedigend.« Sie legt ein schelmisches Grinsen auf, während sie ihren Sohn mustert. »Aber nur als Teil dieser Welt, als Tiergeist, kann ich sie hier dulden.«
    »Das ist in Ordnung«, fährt ihr Nevis hastig ins Wort. »Es ist so viel mehr, als ich mir erhoffen konnte.«
    »Bald haben wir eine neue Auserwählte hier. Zwei würde ich nur kurzfristig ertragen.« Die Regenbogenaugen der Göttin funkeln verspielt. »Ihr bekommt die Vollmondnächte«, sagt sie schließlich und Nevis‘ Hände verkrampfen sich an meinem Kopf. Sein Atem beginnt zu rasen.
    »Wirklich?«, presst er hervor, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Die Göttin nickt.
    »Ja, drei Tage um den Vollmond gehört sie dir als Frau. Mehr kann ich euch nicht geben.«
    Nevis lässt mich los und fällt seiner Mutter in die Arme, während mir Tränen über das fremde Gesicht laufen. Ich kann hören, wie er ihr etwas in den Nacken murmelt, verstehe aber nicht, was. Mit Sicherheit ist es ein Dank aus tiefster Seele.
    »Aber«, sagte die Göttin und schiebt ihren Sohn sanft von sich weg, »du musst weiterhin an der Wahl teilnehmen und kommst ab sofort regelmäßig zum Abendessen. Du wirst deinen Brüdern verschweigen, was ich für euch getan habe und du, Maya …« Sie sieht mich ernst an. »Du darfst an den drei Tagen um den Vollmond auf keinen Fall zur Grenze des Winterreichs. Niemand, auch nicht Jesien, darf dich als Frau sehen.«
    Es fällt mir schwer. Ich würde Jesien gerne berichten, dass alles gut ausgegangen ist, aber ich verstehe die Gründe der Göttin. Sie will nicht, dass sich ein Sohn benachteiligt fühlt, also nicke ich. Nach diesem Geschenk will ich sie unter keinen Umständen noch einmal verärgern oder enttäuschen. Nevis nimmt die Hände seiner Mutter.
    »Das verspreche ich dir«, sagt er und wendet sich dann wieder mir zu. Liebevoll streicht er über mein Fell, bevor er seine Stirn auf meine legt.
    Wir brauchen nichts zu sagen.
    Die Berührung seiner Hände bedeutet mehr als alle Worte der Welt.
    Als Nevis am Abend Jesiens Nähe an der Grenze spürt, eilen wir zu ihm. Ich habe ihm vor einer gefühlten Unendlichkeit versprochen zu kommen, wenn Nevis ihn dort spürt. Das habe ich nicht vergessen.
    Der Herbst sieht mir mit geweiteten Augen ins Gesicht. Als er fragend zu seinem kleinen Bruder aufschaut, trägt dieser ein Lächeln auf den Lippen und nickt. Jesien erwidert mit einem Grinsen. Eine Hand auf sein Herz gelegt und eine gegen die Barriere, kniet er sich zu mir herunter. Ich lege eine Pfote über seine Hand und lese in seinen Augen nichts als Freude.

EPILOG – VOLLMOND

    Als Nevis nach zwei Tagen am Morgen von der Wahl zurückkommt erwarte ich ihn bereits aufgeregt. Der Vollmond hat mich wieder zur Frau gemacht. Der erste von drei Tagen ist bereits in seiner Abwesenheit verstrichen, doch nun höre ich ihn rufen.
    »Maya?«
    »Ich bin in der Küche«, antworte ich. »Ich habe Schokoladenkuchen für uns gebacken.«
    Als Nevis die Küche betritt, starrt er mich erstaunt an. Ich lache und deute auf mein Werk, doch er hat nur Augen für mich.
    »Und? Wie ist die Neue?«, frage ich und versuche zu ignorieren, dass er meine nun ganz weißen Haare betrachtet.
    »Keine Ahnung«, bringt Nevis aus trockenem Mund hervor und schluckt.
    »Wie kannst du keine Ahnung haben?«, gluckse ich amüsiert, während er mir näherkommt. »Wo warst du denn die ganze Zeit?«
    »In Gedanken bei dir.« Zärtlich presst er sich gegen mich und sieht auf meine Wange. »Du hast da … Schokolade.«
    »Die habe ich für dich aufgehoben.«
    Nevis hebt mich in seine Arme und ich schlinge meine um seinen Hals. Ohne den Blick von mir zu lösen, trägt er mich plötzlich nicht durch die Küche, sondern über den Schnee zwischen zwei Tannen zu einer Decke. Seit meiner Verwandlung habe ich keine Probleme mehr mit der Kälte. Ich spüre sie, aber sie berührt mich nicht. Ganz anders als Nevis.
    Das Rascheln der Tannen über uns
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