Morgenroetes Krieger
Prozeß verbreiterte die genetische Basis, verhinderte Inzuchtserscheinungen und stabilisie r te artspezifische Wesenszüge.
Sobald die innenverwandten Halbgeschwister sich verwoben hatten, gingen die Eltern der alten Webe ihre eigenen Wege und überließen das Haus und alles, was dazugehörte, der neuen Generation. Sie waren frei von jeglicher Verantwortung und konnten tun und lassen, was sie wollten. Einige blieben zusammen, andere suchten ihr Glück allein.
Soweit die Fakten; aber nur wenige Menschen – wenn überhaupt jemand – hatten eine Vorstellung davon, wie dies alles vor sich ging, zumal es sich von der menschl i chen Familienstruktur beträchtlich unterschied. Ab und zu versuchten auf einigen Planeten ein paar unterne h mungslustige Menschen Modelle analog den Ler-Weben zu verwirklichen. Diese Versuche dauerten meist nicht sehr lange an. Die inneren Spannungen waren einfach zu groß: emotional, sexuell und auch hinsichtlich der Eige n tumsfrage. Hinzu kam, daß die Webe ein Mechanismus zur vollen Ausschöpfung der Fruchtbarkeit war. Von Menschen praktiziert, war das so, als würde man Öl aufs Feuer gießen.
„Erzähle mir von deiner Familie, deiner Webe, deinen Freunden“, forderte Han sie auf. „Was macht ihr in der Schule? Ich glaube fast, du weißt mehr über unsere Art zu leben als ich über die eurige.“
Sie wandte sich ihm zu. „Nicht unbedingt. Du weißt, ich bin eine nerh. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo praktisch gesehen die Schule zu Ende ist; aber ich bin noch nicht alt genug, um als Zweitmutter in eine andere Webe einzutreten. Ich war Hausvorstand, zusammen mit den anderen Kindern me i ner Generation – so ähnlich wie die ältere Schwester bei euch –, allerdings mit mehr Autorität. Meine innenve r wandten Halbgeschwister hießen Dherlinjan und Follir i an. Sie hörten auf mich, aber sie wußten auch, daß sie nichts weiter zu tun brauchten, als zu warten: In deiner Kultur erhält der Älteste alles. In unserer erben allein die Innenverwandten – Haus, Titel, Name der Webe. Sogar die Eltern verlassen die Gemeinschaft, wenn die Inne n verwandten fruchtbar werden.“
„Wohin bist du gegangen? Haben sie dich vor die Tür gesetzt?“
„O nein.“ Sie lachte gedämpft und zurückhaltend. Es war das erste Mal, daß er sie lachen hörte. Es war ein entspannter, angenehmer Ton. „Bis dahin werde ich mich verwoben haben. Die thes bleiben zu Hause, bis sie g e wählt werden. Aber die Eltern – sie sind dann die Ält e sten. Sie sind frei. Sie können tun und lassen, was sie wollen. Sie unterhalten untereinander Beziehungen, aber nicht sexueller Art. Dadurch sind sie völlig frei. Einige schließen sich zu kleinen Gruppen zusammen; du wü r dest sie als Kommunen bezeichnen, obwohl es nicht g e nau das gleiche ist; andere gehen in die Regierung oder ins Geschäftsleben. Wieder andere werden mnath, das heißt Weise. Sie leben allein – seltener zu zweit – in den Bergen und Wäldern.“
„Bleiben die Erwachsenen der älteren Generation nicht zusammen?“
„Ja, manchmal. Aber genauso oft auch nicht. Es gibt kein Gesetz – die Leute tun, was ihnen gefällt. In der K a ren-Gemeinschaft ist es Tradition, daß die Innenve r wandten bleiben und an der Schule unterrichten, die zur Webe gehört. Manchmal bleiben auch die Zweiteltern, die vor der Verwebung Außenverwandte waren. Unsere Webe ist schon sehr alt, und solche Traditionen bedeuten uns sehr viel. Aber die Ältesten leben nicht im yos. Das ist verboten. Dadurch hat der yos nur eine ganz bestim m te Größe und jeder darin Anspruch auf den gleichen A n teil an Wohnraum. Der übliche Besitzerstolz hat bei uns keine Chance.“
Han war erstaunt über die Einblicke, die er durch sie erhielt. Dennoch war seine Neugier noch immer nicht gestillt. „Na gut, das hört sich ja alles ganz schön an. Aber wie steht’s mit arm und reich? Haben die Reichen nicht größere Häuser? Oder kennt ihr das Problem gar nicht? Und wer sitzt in der Regierung?“
„O ja, wir haben Arme und Reiche. Aber du denkst in Begriffen wie Familie und Erbschaft. Bei uns ist es die Webe, die arm oder reich ist. Im übrigen, wenn du die Gemeinschaft verläßt – ob nun Außenverwandter oder Ältester – das einzige, was du mitnimmst, sind rein pe r sönliche Dinge: Kleidungsstücke und ähnliches. Wir wi s sen, daß Eigentum unfrei macht. Ebenso verhält es sich mit dem Grundbesitz. Dein Eigentum befindet sich dort, wo du lebst und
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