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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
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Murtagh, und er hatte ein Gesicht wie
ein Engelskopf von Caravaggio. Sein Haar war blauschwarz, gelockt und hatte
Kragenlänge. Er trug es im Seitenscheitel, so daß lange, glänzende Locken in
sein Gesicht fielen, während er redete, und er strich sie ständig mit der
linken Hand zurück. Ich hatte einen unvermittelten Drang, sein Haar mit einem
Gummiband zurückzubinden, damit meine Augen länger als ein paar Sekunden auf
einmal auf seinem schönen Gesicht verweilen konnten. Seine Haut war vollkommen
weiß, aber nicht auf die ungesunde Art, und seine Augen waren hellbraun,
riesig, und von schwarzen Wimpern umsäumt. Er lächelte selten, aber wenn er es
tat, verwandelte sich sein Gesicht von einer Art heiteren, fast femininen
Schönheit in den Übermut eines Puck-ähnlichen Kindes, wissend und doch
unschuldig.
    Ich hatte ihn nicht hereinkommen hören und
versuchte gerade, seine Akte in einem Aktenschrank zu finden, als ich spürte,
daß jemand hinter mir stand. Ich drehte mich um. Er war sehr groß und dünn und
hielt sich liebenswert gebeugt, so daß ich aus irgendeinem Grund das Gefühl
hatte, er stände fast unschicklich nah bei mir.
    »Ich bin Greg«, sagte er. Sein Akzent ließ
seinen Namen klingen, als habe er mindestens zwei Silben.
    »Ich bin Sophie«, antwortete ich. »Ich arbeite
zur Zeit hier.«
    »Das sehe ich.« Er lächelte. Ich schmolz dahin.
    Ich wußte, ich müßte ihm Kaffee oder Tee
anbieten und ihn bitten, Platz zu nehmen, bis Agatha bereit war, ihn zu sehen,
aber ich haßte die Vorstellung, jemandem gegenüber in einer niederen Position
zu erscheinen, der in meinem Alter war oder jünger. Dennoch, das war alles Teil
des Jobs, erinnerte ich mich selbst.
    »Hast du Lust auf einen Kaffee?« sagte ich
schließlich, als sei er ein Freund, der gerade bei mir in der Wohnung
vorbeigekommen war.
    »Sehr gerne«, antwortete er, »aber nur, wenn ich
auch richtigen bekomme.«
    Ich war leicht bestürzt, daß er mein Unbehagen
gespürt hatte, und zog eine Augenbraue hoch.
    »Es ist nur so, daß der Kaffee hier wirklich
grauenhaft ist«, sagte er. »Agatha trinkt keinen und kauft deswegen für andere
Leute den billigsten Pulverkaffee. Hast du gesehen? Es gibt einen großartigen
Italiener um die Ecke. Ich bringe normalerweise welchen mit, aber ich hab’s
vergessen.« Er nahm meine Bestellung entgegen und tauchte nach ein paar Minuten
wieder auf mit zwei dampfenden Cappuccinos in Plastikbechern. Ich setzte mich
mit ihm in die geräumigen, zerfledderten Lederstühle im Warteraum, und wir
begannen zu plaudern.
    Greg war erst seit wenigen Wochen in London. Er
hatte eine Rolle in einem dokumentarischen Spielfilm über die Maguire Seven
ergattert, der vor Ort in Kilburn gedreht wurde. Während seiner freien Zeit
besorgte Agatha ihm Gelegenheiten zum Vorsprechen, weswegen er recht oft bei
ihr im Büro vorbeischaute. Zum ersten Mal waren sie sich in Dublin begegnet, wo
er seit dem Studium wohnte. Sie war in einer Aufführung von Krapp’s Last
Tape auf dem Becket-Festival gewesen und war danach hinter die Bühne
gekommen, um ihm zu gratulieren. Er hatte gehört, daß sie in der Stadt war.
Dublin sei solch eine kleine Stadt, sagte er, daß der Besuch einer
Theateragentin sich rasch herumsprach, aber er hätte nicht gedacht, daß eine
Berühmtheit, wie sie es war, das geringste Interesse an ihm haben würde.
    »Das hat mich umgehauen.« Er lächelte sein
boshaftes Lächeln. »Aber ich hab’ gehört, du bist auch Schauspielerin.«
    »Nicht so richtig«, sagte ich. Es fiel mir erst
später auf, daß es merkwürdig war, daß er diese Information hatte, denn ich war
sicher, Agatha hatte dringlichere Dinge mit ihm zu besprechen als die
Lebensgeschichte ihrer Aushilfe. »Ich hab’ manchmal einen Stegreifauftritt in
einem Pub, aber das ist auch schon alles.«
    »Was machst du, Witze erzählen?«
    Ich nickte.
    »Wie komisch, daß die Leute so anders sind, als
sie aussehen«, sagte er.
    »Was meinst du damit?« fragte ich lachend.
    »Na ja, du siehst so zerbrechlich und sanftmütig
aus. Die meisten Komikerinnen, die ich kenne, sind schrecklich fette, alte
Lesben.«
    »Ich schätze, ich sollte das als Kompliment
nehmen«, sagte ich. Es sah ganz so aus, als fingen wir an, miteinander zu
flirten, was mir durchaus recht war.
    »Ich schätze, du solltest.«
    An diesem Punkt erschien Agatha in der Tür und
bat ihn herein. Sie sah mich ziemlich seltsam an. Mir wurde bewußt, daß ich
eine legere Position eingenommen hatte, mit
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