Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater
Autoren: Imogen Parker
Vom Netzwerk:
Atmosphäre der Ungeduld zu umgeben, als hätte er zu viel zu tun
und nicht genug Zeit dafür. Sich bloß einer Aushilfe vorzustellen, würde einige
wertvolle Sekunden kosten. Er war ein eher untersetzter Mann, mit drahtigem,
ergrauendem Haar, das aussah, als sei es seit den siebziger Jahren immer im
gleichen Stil geschnitten worden. Seine Kleidung war offensichtlich teuer, aber
er hatte nicht wirklich Stil. Das Paul-Smith-Jacket war ein wenig zu lang für
ihn und diente nur dazu, ihn fett aussehen zu lassen. Niemand schien ihm gesagt
zu haben, daß man eine gestreifte Krawatte nicht mit einem Streifenhemd trägt.
    »Wissen Sie, wie spät es ist?« fragte er
höflich. Seine sonore Stimme war so unpassend, daß sie Rhetorikunterricht
vermuten ließ.
    Ich schaute auf die Uhr.
    »Ungefähr Viertel vor vier«, antwortete ich
geradeheraus und war mir nicht bewußt, daß noch mehr auf der Tagesordnung
stand. Dies schien ihn zu erbosen, und sein Auftreten wechselte augenblicklich
von ausnehmendem Charme zu messerscharfer Aggression.
    »Was genau glauben Sie eigentlich, wer Sie
sind?« sagte er. »Denken Sie wirklich, wir werden eine Aushilfe tolerieren, die
drei Stunden Mittag macht? Besonders, wo heute keine anderen Mitarbeiter hier
sind. Agatha hat mir erzählt, daß Sie studiert haben. Gut, das mag sie
beeindrucken, aber für mich macht es nicht den geringsten Unterschied. Ihre
Mittagspause dauert eine Stunde. Sobald sie länger wird, gehen Sie. Betrachten
Sie sich als gewarnt.«
    Ich war so schockiert, daß ich ein paar Sekunden
lang nicht sprechen konnte. So hatte niemand mehr mit mir geredet, seit ich
einmal dabei erwischt worden war, wie ich Brausepulver im örtlichen
Süßigkeitenladen kaufte, als ich eigentlich auf dem Spielplatz in der
Grundschule hätte sein sollen. Ich öffnete gerade den Mund, um zu kontern, als
das Telefon neben mir klingelte.
    Ich nahm den Hörer ab und drückte den Knopf, um
das Gespräch zu verbinden. Es war ein Klient von Agatha. Ich nahm eine
Nachricht entgegen und wandte mich dann zu Anthony White um.
    »Ich habe übrigens mit Miss Brown zu Mittag
gegessen«, sagte ich herablassend in meinem kühlsten Ton. »Es tut mir leid,
wenn Ihnen das Unannehmlichkeiten bereitet hat. Wenn ich irgendwie helfen kann,
lassen Sie es mich wissen, aber ich ziehe es vor, auf eine höfliche Art gefragt
zu werden.«
    Jetzt war er es, der mich mit offenem Mund
anstarrte. Er versuchte, eine schneidende Bemerkung zustande zu bringen, als
Agatha an der Tür erschien.
    »Du mußt dir wirklich deine eigene Aushilfe
zulegen, Anthony«, sagte sie, »wenn Janet für einige Zeit nicht da sein
sollte.« Ich hatte das Gefühl, sie interpretierte die Situation absichtlich
falsch. »Sophie hat genug für mich zu erledigen.«
    »Lange Mittagessen einbezogen, vermute ich«,
sagte er leise, ging in sein Büro zurück und schlug die Tür zu.
    Ich schaute ziemlich nervös zu Agatha. Ich
wollte nicht der Grund für Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrem Partner sein,
aber ich spürte, daß es nicht wirklich meine Schuld war. Sie zwinkerte mir
heftig zu und folgte dann Anthony in sein Büro, wobei sie die Tür ebenso laut
hinter sich zuknallte.
    Ich entschloß mich, mit dem Band weiterzumachen,
das Agatha mir am Vormittag gegeben hatte. Es waren ein paar Gratulationsbriefe
an Regisseure, deren neues Werk gerade besprochen worden war, und eine Notiz,
die den Empfang eines eingesendeten Manuskripts bestätigte. Danach schien das
Diktat beendet, aber ich versäumte es, das Fußpedal abzuschalten, und während
ich die Umschläge tippte, fing ich an, Geräusche durch die Kopfhörer zu hören.
    Ganz zu Anfang ein wischendes, dann ein
raschelndes Geräusch, dann einen langen Seufzer. Das Band verstummte für
mehrere Minuten. Dann rief Agathas Stimme plötzlich »Geh’ runter!«
    Dann »Oh tut mir leid, Schatz, ich wollte dich
nicht anschreien. Komm’ her, meine Süßer, und laß dich streicheln.«
    Dann »Das ist mein Abendessen, Schatz.
Tut mir leid, ich habe vergessen, dir etwas zu holen. Laß mich sehen, ich schau
mal im Kühlschrank nach... Hm, wie wäre es mit etwas Räucherlachs? Ja? Das ist
viel besser als Whiskas, oder nicht?«
    An diesem Punkt wurde mir klar, daß Agatha aus
Versehen das Diktiergerät angelassen hatte und mit ihrer Katze sprach.
    Ich hatte vor, es zu erwähnen, bekam aber an
diesem Nachmittag keine Gelegenheit dazu, da der junge Schauspieler aus Derry
eintraf und mich ablenkte.

  Sein Name war Gregory
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher