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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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entgegengehofft hatte.
    »Ich wette eine Flasche Mouton-Rothschild, du hast heute morgen im Spiegel nachgesehen, ob du ein paar Falten mehr findest«, kratzte es an Paulas Ohr. Wo sich bei anderen Menschen die Stimmbänder befanden, saß bei Tante Lilli eine Schiffsschraube.
    »Tante Lilli! Wo bist du?«
    »In München, in meiner bescheidenen Unterkunft.« So nannte sie ihr Hundertzwanzig-Quadratmeter-Penthouse mit Blick auf den Englischen Garten. »Ich konnte es bei den alten Tatterichen in Florida nicht länger aushalten. Die reden nur von Geld und Krankheiten.«
    »Tatteriche? Tante Lilli, du gehst selbst auf die Siebzig zu.«
    »Na und? Und du bist seit heute vierzig. Gratuliere«, sagte sie boshaft. »Ich weiß noch gut, wie ich an meinem Vierzigsten vor dem Spiegel stand und nach Falten suchte«, sie lachte ihr kraftvolles, dröhnendes Lachen, »ich fand genug für zwei! Schließlich habe ich gelebt. Wie ist es bei dir?«
    Paula seufzte. »Ich wußte nicht, daß ich so berechenbar bin. Wenn du schon in München bist, dann kannst du heute abend gleich zu meiner kleinen Feier kommen. Setz dich eine Stunde in den Zug und übernachte hier. Es gibt Bœuf-à-la-mode. Dein Rezept.«
    »Vergiß das Lorbeerblatt nicht. Nein, danke, du hast sicher viel junges Volk eingeladen, da will ich nicht stören.«
    »Komm mir nicht so. Du würdest sie alle in die Tasche stecken, sie wären hingerissen von dir.« Paula bemühte sich um einen leichten Ton, damit Lilli nicht merken sollte, wieviel ihr an ihrem Kommen lag.
    »Lieber nicht«, wich Lilli aus. »Diese Fliegerei strengt eine alte Frau doch sehr an.«
    »Fishing for compliments, was?«
    ›Ein andermal. Paulakind, versprochen. Was macht Simon?«
    »Schneidet Karotten«, sagte Paula. Sie war ein wenig enttäuscht.
    »Nicht zu viele davon, sonst wird’s zu süßlich. Übrigens, man liest nichts Gutes in der Zeitung über meine alte Heimat.«
    »Nein«, stöhnte Paula, »bitte du nicht auch noch! Die ganze Stadt leidet schon an kollektivem Verfolgungswahn.«
    Paula konnte Lillis sarkastisches Lächeln vor sich sehen, als sie ihre Tante sagen hörte: »Das kann ich mir denken. Solche Ereignisse wirken wie ein Tritt in einen Ameisenhaufen. Sie bringen als erstes ihre Brut in Sicherheit.«
    »Das Alter schärft deine Bosheit«, revanchierte sich Paula für die Sache mit dem Spiegel. »Aber selbst du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir in letzter Zeit für Grausamkeiten anhören muß. Lauter gerechte Strafen für den Täter, mal vorausgesetzt, es gibt überhaupt einen. Praktizierende Christen, die noch kürzlich leidenschaftlich für die Beibehaltung des Schulgebets und des Kruzifixes gestritten haben, schreien jetzt nach Wiedereinführung der Todesstrafe.«
    »Ich weiß, ich habe die Leserbriefe schon studiert.«
    Paula fand es rührend von Lilli, daß sie den Stadtkurier abonniert hatte, um nur ja keinen ihrer Artikel zu versäumen.
    »Das waren die Harmlosen. Aus den nicht veröffentlichten könnte man ein Horrordrehbuch machen. Die Inquisition war ein Kinderspiel gegen die Phantasien des gesunden Volksempfindens. Aber noch viel schlimmer ist dieses Betroffenheitsgesülze.« Es tat Paula gut, sich einmal Luft machen zu können. Lilli war der einzige Mensch, mit dem sie in dieser Weise über die Geschehnisse reden konnte. Bei Doris, für die Muttersein der Lebensinhalt schlechthin war, stieß sie damit auf blankes Unverständnis.
    »Das mußt du verstehen, Paula«, erklärte Lilli, »das ist nur die geheime Erleichterung darüber, daß es nicht das eigene Kind getroffen hat. Trotzdem, paß auf deinen Jungen auf, Paula. Er ist ein Mensch, wie es nur ganz wenige gibt. Wenn er lächelt, würde sogar der Südpol schmelzen.«
    »Er ist nicht immer nur lieb. Er hat durchaus seine Launen«, wehrte Paula ab.
    »Die hast du auch. Und ich erst! Ist mit dem Haus alles in Ordnung?«
    »Ja. Ich habe seit drei Tagen einen Gärtner.«
    »Macht er wirklich den Garten, oder ist er dein Liebhaber?«
    »Er macht nur den Garten, für den Rest reicht das Geld nicht. Das ist eine komische Geschichte, ich erzähle sie dir, wenn du mal kommst. Jetzt muß ich zurück an den Herd.«
    »Wo die Weiber hingehören«, ergänzte Tante Lilli und legte auf. Sie hätte es nie zugelassen, daß man sie eine Emanze nannte, aber sie war die aufrechteste und zugleich die angenehmste, die Paula je gekannt hatte.
    Gegen halb neun kamen die ersten Gäste: Karlheinz Weigand, Chef der Lokalredaktion des
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