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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
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Bordschuhen. Sein spärlicher Haarwuchs war unter einem marineblauen Ballcap verschwunden. Mit dem Rücken an die Reling gelehnt, beobachtete Jung aufmerksam das kantige Profil des großen Mannes. Er schien Jung überhaupt nicht gehört zu haben.
    »Warum reden Sie nicht mit mir?«, fragte Jung etwas lauter.
    Der Mann zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    »Mit meiner Kollegin haben Sie sich doch auch unterhalten. An der Treppe. Sie erinnern sich?«
    Der Seemann bewegte seine rechte Hand. Es schien Jung, als wolle er sich mit seinen krummen Fingern an die Brust greifen. Er besann sich aber und ließ sie, wo sie war.
    »Na gut. Wenn Sie nicht wollen. Bitte, dann eben nicht.«
    Jung blieb ruhig. Er musste sich dazu zwingen. Er spürte, wie leise Wut in ihm aufstieg. Er ließ sich Zeit. Auch dazu musste er sich zwingen. Schließlich fragte er betont ruhig, fast beiläufig: »Warum sind Sie mir in der Nacht gefolgt? Wollten Sie mich aus dem Weg räumen? Ich weiß, dass Sie die Kadettin auf dem Gewissen haben.«
    Der Mann neben ihm zuckte unmerklich zusammen, blieb aber stumm und rührte sich nicht von der Stelle. Er beherrschte sich mühsam. Jung spürte, wie sich eine explosive Spannung aufbaute. Er fühlte sich herausgefordert und bestätigt zugleich. Er ließ die Zeit verrinnen. Seine Augen ruhten unverwandt auf dem Mann, der ihm jetzt den Rücken zuwandte und krampfhaft die Reling umklammerte.
    Schließlich sagte Jung: »Ellen Schwarz hieß das Mädchen. Ihr Sohn war kurz vor seinem Tod mit ihr zusammen. Wussten Sie überhaupt davon? Die Polizei hat den Fall untersucht. Ich kenne die Ergebnisse. Sie nicht. Es gibt eine Untersuchungsakte. Armer Kerl, Ihr Sohn.«
    Der Mann löste sich aus seiner Erstarrung, nahm die Angel auf und kurbelte an der Rolle. Dann zog er den Schwimmer aus dem Wasser und schleuderte ihn in hohem Bogen wieder zurück. Er wiederholte das Manöver mehrmals.
    »Ihr Sohn und die Kadettin. Sie hatten einen heftigen Streit«, sagte Jung geschäftsmäßig. »Es ist nicht auszuschließen, dass sie Schuld an seinem Tod hat. Zumindest mitschuldig ist. Wir gehen der Sache nach.«
    Er zügelte seine Ungeduld. Er räumte seinen Worten die nötige Zeit ein, um zu wirken. Der Steward zerrte an der Angelschnur. Er wechselte in eine Position weiter weg. Jung blieb, wo er war, machte es sich an der Reling bequem und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Wissen Sie überhaupt, was sie über Ihren Sohn zu Protokoll gegeben hat?«, fragte er nach einer Weile süffisant. »Er sei ein komischer Bubi. Nichts als Flausen im Kopf. Von unreifen Bubis wollte sie sich nicht abschleppen lassen. Das habe sie ihm ins Gesicht gesagt. Deswegen der Streit. Ziemlich starker Tobak, finden Sie nicht auch?«
    Der Steward drehte Jung den Rücken zu. Er fuhr mit der Hand in seine Brusttasche, ließ sie aber sofort wieder sinken. Dann ließ er die Angelrute los. Seine Finger zitterten. Er umklammerte mit beiden Händen die Reling. Er starrte geradeaus und presste die Lippen aufeinander.
    »Und das aus dem Mund eines verzogenen Arzttöchterchens«, setzte Jung nach. »Eine kleine Tussi, die dasselbe Spielchen auch mit anderen trieb. Gleichzeitig. Eine ganz besonders perverse Masche, oder? Verständlich, wenn er sich ordentlich einen hinter die Binde gekippt hat. Aber irgendwie auch saublöd.«
    Sein Gegenüber ließ die Reling nicht aus den Fäusten. Seine Fingerknöchel liefen weiß an. Es schien ihm, als ließe sich sein Peiniger eine Ewigkeit Zeit.
    »Warum hat sich Ihr Sohn nur an eine solche nichtsnutzige Göre gehängt?«, fragte Jung endlich. »Hatte er etwa ernste Absichten? Das wäre wirklich selten naiv. Geradezu krank. Unfassbar.«
    Der Steward wandte sich ab und holte den Flachmann hervor. Nach einem schnellen, kräftigen Schluck steckte er ihn hastig wieder weg. Jung lehnte reglos an seinem Platz und schwieg, als müsse er seine Gedanken ordnen.
    »Er muss ein haltloser Trottel gewesen sein, Ihr verehrter Kronsohn«, verkündete Jung schließlich. Seine Stimme drückte Desinteresse und Mitleidlosigkeit aus.
    Die Hand des Stewards zuckte. Er nahm die Angel wieder auf und kurbelte hektisch an der Rolle. Das Schweigen wälzte sich über ihn wie eine Last, die immer schwerer wurde und ihn zu erdrücken drohte.
    »Ich glaube, die Schuld liegt bei Ihnen, ganz allein bei Ihnen«, bekräftigte Jung seine Anklage. »Sie waren nicht für ihn da, als er Sie brauchte. Sie trieben sich lieber sonstwo herum. Auf dem Meer, in
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