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MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)

MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)

Titel: MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)
Autoren: Alfred Bekker
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Mensch, vielleicht sogar schüchtern. Ich lebe zurückgezogen mit meinen drei Katzen. Wie schon gesagt: Das Haus, in dem ich wohne, liegt etwas abseits.
    Ich habe es für mich allein und das ist gut so.
    Ein Tag vergeht. Und ein weiterer.
    Ich lasse sie am Tisch sitzen. Sie blickt mich starr an, wenn wir uns unterhalten.
    Hätte ich sie doch gehen lassen sollen?
    Vielleicht.
    Ich konnte es nicht.
    Es war einfach unmöglich.
    Ich brauchte sie.
    Und ich hoffe nur, dass ich ihr nicht allzu sehr wehgetan habe.
    Jedenfalls hat sie nicht geschrieen. Sie war wohl sofort tot. Ganz bestimmt.
    Ich bette Mutter um. Von links nach rechts. Ihre Gliedmaßen sind starr. Ich packe Kissen zwischen die Gelenke.
    Sie redet nicht mit mir. Sie ist beleidigt.
    "Ist deine Besucherin noch da?", fragt sie plötzlich.
    Der erste Satz - seit Tagen.
    "Ja."
    "Sie ist nicht gut für dich."
    "Mutter!"
    "Bring sie weg."
    "Nein, noch nicht!"
    "Ich mag sie nicht. Sie ist ..."
    "Ja?"
    "... wie die anderen."
    Im Innersten meines Herzen weiß ich, dass Mutter Recht hat.
    Bedauerlicherweise.
    Ein Kursteilnehmer trägt eine Geschichte vor, die von einem Raubmord handelt. Er stottert beim Lesen. Der Text bricht plötzlich ab.
    "Mir fällt kein Ende ein", meint der Schreiber, der sich mit der flachen Hand bei jeder Gelegenheit über das schüttere Haar streicht. Dadurch lädt es sich statisch auf, steht in der Gegend herum. Wie bei jemandem, der auf dem elektrischen Stuhl sitzt.
    "Ich habe jetzt eine richtige Schreibhemmung, weil ich einfach nicht weiterkomme!", stöhnt er noch mal auf.
    Er kann noch nicht richtig dichten, aber so gequält dreinschauen wie ein richtiger Dichter kann er schon.
    Immerhin etwas.
    Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, heißt es.
    "Vielleicht kann ich mich einfach nicht so richtig in einen Mörder hineinversetzen", meint der Wie-ein-gequälter-Dichter-Dreinschauende dann.
    Er wendet sich an mich.
    Ausgerechnet.
    "Wie schaffst du das denn?"
    "Ich?"
    "Du hast doch letzte Woche auch eine Mörder-Story geschrieben."
    "Ja."
    "Na?"
    "Ich weiß nicht."
    Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Ich höre die Stimmen. Ich versuche zu verstehen, was sie sagen ...
    "Ist Ihnen nicht gut?", dringen die Worte der Kursleiterin plötzlich in mein Bewusstsein.
    "Mir? Wieso?"
    "Sie sehen so blass aus!"
    Am vierten oder fünften Tag nahm ich meine Besucherin über die Schulter und setzte sie in einen der großen Ohrensessel, die bei mir im Wohnzimmer stehen. Wir saßen beieinander. Es war schön. Jedenfalls besser, als wenn man alleine dasitzt.
    Von Tag zu Tag gab es mehr Fliegen im Haus und mir war klar, woher das kam.
    Ich betrachtete wehmütig ihr Gesicht.
    Schade, aber ich würde mich von ihr verabschieden müssen.
    Ich schob es noch ein paar Tage vor mir her. Schließlich hatte ich mich an ihre Gesellschaft gewöhnt.
    Dennoch, es war unvermeidlich.
    Ich löste ein paar Fußbodenbretter, unter denen ich eine Grube angelegt hatte und legte sie zu den anderen.
    Später gehe ich zu Mutter.
    Sie hat schon nach mir gerufen. Ziemlich ungeduldig. Die Stimmen in meinem Kopf haben die ihre übertönt. Das ist manchmal ganz angenehm. Gegen den großen Chor kommt sie eben doch nicht immer an. Ich lächele. Trotz der Sache mit meiner Besucherin.
    "Willst du, dass ich Druckstellen bekomme?"
    "Nein."
    "Willst du, dass mir irgend ein Quacksalber das tote Fleisch herausschneiden muss?"
    "Nein, natürlich nicht."
    "Du weißt, dass ich Ärzte hasse und um keinen Preis einen dieser Pfuscher an mir herummachen lasse!"
    Das hatte sie auch nach dem Schlaganfall gesagt, als ich sie fand. Mit starren Gliedmaßen, verkrampften Fäusten, einem hängendem rechten Augenlid.
    Ich hatte sie damals kaum verstehen können, so undeutlich sprach sie.
    Immerhin - das ist von allein besser geworden. Oder ich habe mich mehr daran gewöhnt. Ich bin mir nicht ganz sicher.
    "Warum hast du mich dann solange warten lassen, Junge?"
    "Ich habe sie weggebracht."
    "Deine Besucherin?"
    "Ja."
    "Gott sei Dank."
    Ich bette sie um.
    Diesmal von rechts nach links. Sie liegt zusammengekrümmt wie ein Fötus da.
    Ich schiebe Kissen unter die Gelenke.
    Routine.
    Jedesmal dieselbe Prozedur.
    Ich muss sie genau einhalten - sonst bekommt Mutter Druckstellen, hat Schmerzen und wird sauer.
    Außerdem bekomme ich die Klappe der großen Kühltruhe nicht zu, wenn ich sie falsch lagere.
    (c)A.Bekker
     
     
     
     
    Alfred Bekker
     
    HINTER DEM MOND
    © Author
    © 2012 der Digitalausgabe
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