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MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)

MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)

Titel: MORDrhein-Westfalen (Vier Krimis mit Tatorten in NRW - Münsterland, Sauerland, Niederrhein) (German Edition)
Autoren: Alfred Bekker
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zünde die Kerzen an.
    Der Schein der Flammen fällt auf ihre ebenmäßigen Züge und taucht sie in ein diffuses Licht.
    Ich konnte sie nicht gehen lassen.
    Ich konnte einfach nicht.
     
     
    Ich spaziere gerne am Dassendaler Weg zwischen dem Römerturm und der St. Gerebernus-Kapelle. Manchmal sagen mir Stimmen, ich soll hier hin gehen. Vielleicht suche ich instinktiv die Nähe eines sakralen Gebäudes. Betreten habe ich die Kapelle nie. Auch keine andere Kirche.
    Seit Jahren nicht.
    Es wäre mir irgendwie unangemessen vorgekommen. Du hast dort nichts zu suchen! , sagt eine Stimme.
    Aber eine andere widerspricht: Genau hier bist du richtig. Im Angesicht des Kreuzes. Wo sonst willst du Buße tun?
    Ich schließe die Augen.
    Kneife sie zu.
    Drücke die Handflächen auf die Ohren.
    Es ist dunkel.
    So dunkel.
    Der Chor der Stimmen verstummt nicht.
    Ich spüre eine leichte Berührung. Sie wirkt wie ein elektrischer Schlag.
    "Ist Ihnen nicht gut?", dringt eine weibliche Stimme in mein Bewusstsein. Ich erkenne sie wieder, öffne die Augen und sehe die quirlige Katharina aus dem Sozialamt. Ihr Gesicht wirkt besorgt.
    "Alles in Ordnung."
    "Wirklich?"
    "Wirklich."
    "Ich habe ein Handy dabei. Soll ich einen Arzt rufen?"
    "Nein, danke."
    Sie sieht mich zweifelnd an. "Na, Sie müssen es ja wissen."
    "Eben!"
    Geh weg.
    Sofort.
    "Ich meine, es ist halt so, dass Kurse meistens im Laufe der Zeit kleiner werden", sagt die Leiterin einmal. "Aber wenn man keine Lust mehr hat, könnte man sich eigentlich wenigstens abmelden, finde ich."
    Hast du eine Ahnung!, denke ich.
    Die Leiterin macht ein erntes Gesicht.
    Drei volle Sekunden Schweigen.
    Dann wenden wir uns em Text einer rothaarigen, sehr hageren und sehr unzufrieden wirkenden jungen Frau zu, die aussieht, als hätte sie in ihrem jungen Leben schon viel mitgemacht. "Ich habe das Problem, wie ich historische Fakten in meinen Krimi einbauen soll", sagt sie. "Ich möchte schließlich nicht aufdringlich oder belehrend klingen, andererseits ... Nun, ich habe einen Kompromiss zwischen spannender Handlung und historischer Genauigkeit versucht."
    Wir hören ihr zu.
    Nachdem sie zwei Seiten lang über die Gründung der Stadt Sonsbeck im Jahre 8 v. Christus durch den römischen Kaiser Tiberius doziert und Bezüge zur Herrschaft der Grafen von Cleve im zwölften Jahrhundert hergestellt hat, die in Sonsbeck eine Bockwindmühle besaßen, denke ich, dass dieser Kompromiss gründlich daneben gegangen ist. Eigentlich geht es ihr nämlich darum, einen Mord zu beschreiben, der in der Turmwindmühle stattfindet, die zu dem daneben liegenden Hotel gehört.
    Als die Rothaarige anschließend noch ellenlange und detailreiche Beschreibungen des fast völlig von Efeu übewuchterten Mauerwerks zum besten gibt, denke ich: Man sollte die Todesstrafe wieder einführen.
    Für Langweilerinnen.
    Etwas fasziniert mich doch an ihr.
    Ihr Gesicht.
    Sie ist nicht mein Typ, das hatte ich innerhalb der ersten zwei Sekunden entschieden, in denen ich sie sah.
    Trotzdem...
    Ihr Gesicht - nein, ihr Gesichts ausdruck! - dieses fleisch gewordene Monument aus Qual und Entsagung, muskulös durch das Kauen von Grünkernen und Müsli, gezeichnet durch den Ausdruck permanenter Unzufriedenheit, der sich bereits in Form von charakteristischen Falten verewigt hat, erinnert mich an Mutter.
    Sie sah auch so drein.
    Wenn sie von der schweren Zeit sprach.
    Sie sprach oft davon.
    Kein Wunder, dass sie früh Falten bekam.
    Das mit den Stimmen fing an, als ich etwa fünf Jahre alt war.
    "Dafür brauchen wir keinen Arzt", hatte Mutter damals gesagt. "Das wächst sich aus, wenn du größer wirst."
    Es hat nie wieder richtig aufgehört. Sie sind immer da. Das Einzige, was sie vorübergehend übertönen kann, sind die Stimmen anderer.
    Die Stimmen meiner Besucherinnen zum Beispiel.
    Mutter hat keine von ihnen gemocht - und das, obwohl ich ihr nur das Beste über sie berichtet habe. Keiner von ihnen ist sie persönlich begegnet.
    "Was ich gehört habe, reicht mir für ein Urteil", pflegte sie zu sagen.
    Ein Urteil.
    Das war es.
    Ein Urteil ohne Berufung. Ohne Verteidiger. Nur eine einsame Richterin.
    "Reg dich nicht so auf", sagte ich.
    "Wieso soll ich mich nicht aufregen, wenn du dich mit den falschen Frauen triffst? Welche Mutter würde sich da nicht aufregen?"
    "Weißt du nicht, dass so etwas einen zweiten Schlaganfall auslösen kann?"
    "Ach, Junge!"
    Gegenüber vom Sonsbecker Rathaus befindet sich ein Parkplatz.
    Dahinter ragt die Silhouette
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